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Im Blick – Thüringens extrem rechte Szene

In den Sommermonaten 2022 konzentrieren sich die Aktivitäten der extrem rechten Szene vor allem auf die Mobilisierung auf der Straße und den Versuch die Proteste zu vergrößern und zu radikalisieren. Daneben ist Thüringen weiterhin Treffpunkt der bundesweiten extrem rechten Szene, wodurch eine weitere Vernetzung erzielt werden soll.

Der „heiße Herbst“ und die Aufstandsphantasien der extremen Rechten

Seit dem Spätsommer haben die Proteste der extrem rechten Mischszene in Thüringen wieder deutlichen Zulauf erfahren. Den Organisations-Kern vor Ort bilden dabei Aktivist*innen, die schon die Corona-Proteste organisierten und diese nun mit anderem Themen fortführen. Das übergeordnete Ziel ist weiterhin die Delegitimierung der parlamentarischen Demokratie. Nun versuchen diese Netzwerke die Straßenproteste erneut zu vergrößern und zu radikalisieren. Die aktuelle Energiekrise und steigende Preise haben in den letzten zwei Monaten die Teilnehmendenzahlen wieder deutlich steigen lassen. Am 3. Oktober fand diese Entwicklung ihren bisherigen Höhepunkt, als sich nach offiziellen Angaben rund 36.000 Menschen in Thüringen an den Protesten beteiligten. Diese hohe Beteiligung dürfte zum einen damit zusammenhängen, dass der 3. Oktober ein Feiertag ist und auf einen Montag fiel. Zum anderen wurde an diesem Tag deutlich strukturierter Proteste organisiert und teils bundesweit mobilisiert. Im Zentrum stand die ostthüringische Stadt Gera, wo ein breites extrem rechtes Netzwerk aus „Freies Thüringern“, der AfD, Neonazi-Gruppen und Reichsbürger-Aktivist*innen rund 10.000 Menschen mobilisieren konnte. Die enge Zusammenarbeit von klassischer Neonazi-Szene, Verschwörungsideologen und AfD in Gera zeigte sich bereits bei einem „Familienfest“ Ende August, bei dem auch der Neonazi-Liedermacher Frank Rennicke einschlägiges Liedgut auf der Bühne spielte. Nach dem 3. Oktober sanken die Zahlen der Protestierenden wieder und pegelten sich bei etwas über 20.000 Menschen ein, was der Hochzeit der „Anti-Corona“-Proteste im Winter 2021/2022 entspricht. Ein stetiges und schnelles Wachstum der Proteste wie von der Szene erhofft war also bis Ende Oktober nicht zu beobachten.

Das sogenannte Familienfest im August 2022 in Gera. Bild: MOBIT

Die extreme Rechte versucht indes die Proteste weiter anzufachen und zu radikalisieren. Der Verleger und Höcke-Freund Götz Kubitschek legte seine Vision von einem „heißen Herbst“ bereits Ende August in einer Artikelserie vor. So schreibt er unmissverständlich: „Ein Aufstand ist unumgänglich“. Er spricht weiter davon, dass die Proteste „nachhaltig, unversöhnlich und grundsätzlich“ werden sollen. Insgesamt bleiben Kubitscheks Texte in einigen Teilen vage. Aber auch Kubitschek kalkuliert bei seinen Überlegungen Gewalt ein, ohne selbst direkt dazu aufzurufen:

„Rechnen wir mit einzelnen Ausrastern, mit unschönem Gebrüll, mit fleischigen Händen, die Kameras niederdrücken, mit verwackelten Bildern fliehender Journalisten, überwundenen Baugittern und mit Wasserwerfern, die in der Dämmerung blaulichtumflackert gegen die Infanterie von rechts in Stellung gehen und ihre Salven zum Schutze der Volksvertreter abfeuern müssen.“

Gewalt wird als Erscheinung offenkundig erwartet, ja in Kauf genommen. Kubitscheks Rede vom „Aufstand“ dürfte im eigenen Milieu auch ohne weitere Aufrufe ankommen. Schon die Wortwahl setzt den Rahmen für die beabsichtigten Protestformen und zeigt eine neue Eskalationsstufe. Wir haben dies bereits ausführlich in einem eigenen Text analysiert.

Eine zentrale Gruppierung, die unter anderem gemeinsam mit der AfD Thüringen versucht die Proteste zu vergrößern, ist das durch Verschwörungs- und Reichsbürger-Ideologie geprägte Bündnis „Freies Thüringen“. Als landesweite Vernetzungsstruktur von lokalen Gruppen einer themenbeweglichen rechten Mischszene propagierte “Freies Thüringen“ seine „10 Forderungen“ Ende September zeitgleich bei Kundgebungen in mehreren Thüringer Städten. So ist in einem Redebeitrag eines Vertreters der Gruppe die Rede vom alliierten „Verwaltungskonstrukt BRD“ einem „aufgezwungenen Schuldkult“ und der „satanischen Globalisten-Clique, die sich mit einem nie dagewesenen Zerstörungswerk gegen die Schöpfung verschworen hat“. Die AfD-Thüringen wird hingegen als Partner gesehen:

„Die Höcke-AfD steht vorbehaltlos zu Patriotismus und den Werten, den Traditionen und der Kultur unseres Volkes und bekennt sich zu den Protesten auf der Straße. Deshalb ist die AfD eine Säule des Widerstandes.“

Auch die AfD Thüringen agiert mit den „10 Forderungen“ von „Freies Thüringen“, so mit deren Verlesung am 21.09. im Thüringer Landtag und einer anschließenden Demonstration in Erfurt.   Aktuell wird aus diesem Netzwerk erneut eine „Großdemonstration“ am 12. November in Erfurt beworben.

NPD-Netzwerktag in Eisenach

Die NPD versucht aufgrund ihrer politischen Bedeutungslosigkeit zunehmend ein neues Konzept zu entwickeln. Im Mai 2022 fand in Hessen der NPD Bundesparteitag statt. Die NPD versuchte hier nicht nur ihren Namen in „Die Heimat“ zu ändern, sondern auch, sich ein neues strategisches Konzept zu geben. Die offizielle Namensänderung scheiterte jedoch am Widerstand der Delegierten. Strategisch wolle man nun „als Netzwerker, Dienstleister, punktueller Bündnispartner und regionaler Motor von Bürgerprotesten und regierungskritischen Initiativen“ agieren. In Eisenach marschierten die Neonazis bereits mit einem Transparent, welches nur noch die Aufschrift „Die Heimat“ trug, bei den wöchentlichen Demonstrationen mit. Am 10. September fand in Eisenach eine Netzwerktagung der Deutschen Stimme, also der Parteizeitung der NPD, statt. Diese kann wohl als Folge der beabsichtigten Neuaufstellung gewertet werden. Unter den rund 100 Teilnehmenden befanden sich zahlreiche NPD-Funktionäre, Aktivisten aus dem Umfeld der Neonazi-Kleinstpartei Der Dritte Weg, Vertreter der Thüringer Heimatpartei, „Freies Thüringen“ und anderer teils bundesweiter extrem rechter Gruppen bzw. Organisationen.
Im Zuge dieser versuchten Neuaufstellung kehrte auch der Thüringer Neonazi Patrick Wieschke aus Eisenach sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene wieder auf Funktionsposten zurück. Wieschke ist nun nicht nur erneut Landesvorsitzender der NPD-Thüringen, sondern auch Bundesorganisationsleiter. Seine zwielichtige Vergangenheit, welche vor einigen Jahren zu seinen Rücktritten führte, scheint für die Partei aktuell kein Hindernis mehr zu sein. Die Thüringer Neonazi-Szene ist damit auch bundesweit weiterhin an zentralen Positionen eingebunden.

Neue Stärke Partei – Gewalt und Zerfallserscheinungen

Die Neue Stärke Partei (NSP) trat in den letzten Monaten vor allem durch gewalttätige Übergriffe ihres Umfeldes im Erfurter Stadtteil Ilversgehoven in Erscheinung. Hier bewohnt ein Partei-Aktivist eine Wohnung, von der aus es immer wieder zu verbalen und körperlichen Angriffen auf Anwohner*innen kam. Gleichzeitig scheint die Neonazi-Partei bereits wieder im Zerfall begriffen. Ende September musste die Partei den Rücktritt und Austritt ihres Vorsitzenden Michel Fischer bekanntgeben. Gründe wurden indes nicht genannt. Bis auf weiteres, so heißt es in der Erklärung, führe der aus Gera stammende Bryan Kahnes die Partei. Ein für den 22. Oktober angekündigter „Aktionstag“ in Sömmerda fand nicht statt.

Michel Fischer in Polizeigewahrsam bei einer Demonstration der Kleinstpartei im März 2022 in Gera. Bild: MOBIT

Thüringen als Tagungsort der Reichsbürger-Szene

In den letzten Monaten zeigte sich wieder ein deutliches Erstarken der Reichsbürger-Szene in Thüringen. Vor allem die Corona-Proteste scheinen zu einer Radikalisierung eines Teils der Pandemie-Leugner*innen geführt zu haben, von denen einige nun auch in der Reichsbürger-Szene aktiv sind. Der verbindende Kitt sind für beide Szenen Verschwörungserzählungen. In den zurückliegenden Monaten waren in Thüringen vor allem sogenannte Wahlkommissionen aktiv. Diese fielen unter anderem durch das thüringenweite Plakatieren von Ankündigungen anstehender „Wahlen“ auf. Daneben veranstalten diese Gruppierungen interne Seminare für „Wahlhelfer“ und Vorträge zur „Staatsangehörigkeit“. Der Schwerpunkt der Gruppen liegt vor allem in Heiligenstadt, Erfurt und Buttstädt. Vom 14. Bis 16. Oktober fand dann der „Zukunftskongress Deutschland“ in Pfiffelbach im Weimarer Land statt. Die Veranstaltung dürfte einer der größten Reichsbürger-Veranstaltungen der zurückliegenden Jahre gewesen sein und zeigte auch die deutliche Vernetzung zur Neonazi-Szene auf. Neben Verschwörungsideologen wie Veikko Stölzer war auch der Chef der „Freien Sachsen“, Martin Kohlmann, zu Gast. Daneben wurden die extrem rechten Liedermacher Axel Schlimper und „Eine deutsche Frau“ für das Rahmenprogramm angekündigt. Bei der Veranstaltung kamen rund 200 Personen aus der gesamten Bundesrepublik zusammen.

Skandalurteil im Fretterode-Prozess

Viereinhalb Jahre nach dem brutalen Neonazi-Angriff auf zwei Journalisten im Eichsfeld hat das Gericht die beiden Angeklagten zu äußerst milden Strafen verurteilt. Das Skandalurteil entpolitisiert die Tat und sendet ein fatales Signal an die Neonazis. Gleichzeitig stehen investigative Journalist*innen im Themenfeld „Extreme Rechte“ im Fokus der Behörden. Der Fachjournalist Kai Budler hat für MOBIT die Hintergründe, das Verfahren und das Urteil auf unserem Blog zusammengefasst.