Allgemein

Gerichtlich bestätigte No-Go Area Fretterode

Protestzug gegen den Eichsfeldtag im Mai 2019

Viereinhalb Jahre nach dem brutalen Neonazi-Angriff auf zwei Journalisten im Eichsfeld hat das Gericht die beiden Angeklagten zu äußerst milden Strafen verurteilt. Das Skandalurteil entpolitisiert die Tat und sendet ein fatales Signal an die Neonazis. Gleichzeitig stehen investigative Journalist*innen im Themenfeld „Extreme Rechte“ im Fokus der Behörden.

von Kai Budler

Mehr als drei Jahre brauchte es, bis der Prozess gegen zwei Neonazis wegen des brutalen Überfalls auf zwei Journalisten eröffnet wurde. Noch einmal ein Jahr später fiel am Donnerstag, den 15.09.2022, vor dem Landgericht Mühlhausen das mit Spannung erwartete Urteil gegen Nordulf H. und Gianluca B. Zur Erinnerung: die beiden mit Baseballschläger, Pfefferspray, Messer und Schraubenschlüssel bewaffneten Neonazis hatten Ende April 2018 die beiden Journalisten attackiert, die zu einem konspirativen Treffen auf dem Gelände des langjährig aktiven Neonazi-Funktionärs Thorsten Heise recherchieren wollten. Nach einer Verfolgungsjagd schlugen sie ihre Opfer zusammen und verletzten sie schwer, sie zerstörten ihr Auto und raubten die Kamera samt Ausrüstung.

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer erklärt: „Es war kein gewöhnlicher Raubüberfall, sondern ein politisch motivierter Raubüberfall“ und für H., der zur Tatzeit noch ein Heranwachsender war, eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten zur Bewährung gefordert sowie eine Geldstrafte von 2000 Euro. Für B. plädierte der Staatsanwalt auf eine Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Die Nebenklage hatte eine Verurteilung wegen schweren Raubes und die Berücksichtigung der neonazistischen Beweggründe bei der Strafzumessung gefordert. B. und H. seien gegen Journalisten vorgegangen, die in der rechten Szene als Feinde gesehen würden, „um sie um jeden Preis zur Strecke zu bringen“.

Mit seinem Urteil aber bleibt das Landgericht weit hinter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück. Wegen Sachbeschädigung und gefährlichen Körperverletzung erhält der 28-jährige B. ein Jahr Haft auf Bewährung, Heises Sohn Nordulf H. wird nach Jugendstrafrecht zu 200 Sozialstunden verurteilt. Den Tatvorwurf des Raubes sieht das Gericht nicht als erwiesen an, da der Verbleib der Kamera nicht habe geklärt werden können. Auch einen Angriff auf die Pressefreiheit verneint die Richterin. Schon während der Urteilsbegründung verlässt einer der Nebenkläger den Gerichtssaal, Fassungslosigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben, auch die Besucher*innen des Prozesses ringen um Fassung. Einige von ihnen verlassen den Saal, als die Richterin von „zwei ideologischen Lagern“ spricht, die sich gegenüberstünden, statt den politischen Hintergrund der Tat im Urteil einzuordnen. Dies setzt sich fort, wenn sie später von „vier Kontrahenten“ spricht, als es um den Angriff auf die Journalisten geht. Indem Nordulf H. die Nebenkläger vor der Tat als „Zecken“ bezeichnet habe, gäbe es keinen Hinweis, dass er sie als Journalisten attackiert habe, sondern einfach als „Mitglieder der linken Szene: Zecken“. Aus dem gewalttätigen Überfall wird in dem Urteil eine „emotionale Reaktion“. Alleine schon diese Feststellung impliziert, dass ein gewalttätiger Angriff auf „Zecken“ offenbar nicht schwer wiegt. „Es war kein gezielter Angriff auf Journalisten und auf die freie Presse“, erklärte sie und verzichtete darauf, das strafverschärfend zu berücksichtigen. Dafür schenkt sie der von den Neonazis herbei geredeten Opferrolle teilweise Glauben und hält die Beschreibung Nordulf H.s zum Ablauf des Tages für glaubhaft. Sie halluziniert eine Gefährdung des Anwesens in Fretterode herbei, wo doch mit einer antifaschistischen Kaffeefahrt eine letzte öffentlichkeitswirksame Aktion vor mehr als 20 Jahren stattgefunden hatte. Zu Gunsten der Angeklagten führt sie zudem an, sie seien durch die Nennung ihrer Namen in den Medien vorverurteilt worden. 

Das jetzt gefällte Urteil lässt nicht nur die Nebenkläger und ihre Anwälte fassungslos zurück. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass antifaschistische Recherche für die Aufklärung rechter Umtriebe unerlässlich ist. Wenn jetzt Fachjournalisten schwer verletzt werden und die Tat mit nur milden Strafen geahndet wird, besteht die Gefahr, dass sich Medienschaffende wegen des Riskos weiter aus der Berichterstattung zum Thema zurückziehen. Auch einer der beiden im Eichsfeld angegriffenen Journalisten arbeitet inzwischen nicht mehr zu diesem Themenfeld. Stattdessen sendet das Urteil das fatale Signal an Neonazis, dass sie Personen, die von ihnen als politische Gegner markiert werden, fast umbringen können und mit nur milden Strafen davonkommen. Die Ortschaft Fretterode wird damit zur No-Go-Area für als politische Gegner*innen markierte Personen und Fachjournalist*innen.

Anders sieht es beim behördlichen Vorgehen gegen investigative Journalist*innen aus, die im Themenfeld „Extreme Rechte“ arbeiten. Zwei Tage vor dem Urteil wurde das Haus eines 32-jährigen Journalisten durchsucht, weil er angeblich an einer Plakataktion im April 2021 am Tatort in Hohengandern beteiligt gewesen sein soll. Während die örtlichen Polizeikräfte nach dem Überfall 2018 auf eine Hausdurchsuchung bei Thorsten Heise und im Nachbarhaus verzichteten und zuließen, dass Neonazis ein- und ausgingen, wurden nun etliche technische Geräte des Journalistenbeschlagnahmt, die er zur Ausübung seiner Tätigkeit braucht. Nach Angaben seines Anwaltes, Sven Adam, ein „nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Pressefreiheit“, denn die journalistische Tätigkeit des Mannes sei „sowohl der Staatsanwaltschaft als auch dem Amtsgericht Mühlhausen bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses bekannt“ und auch benannt gewesen. Der 32-jährige wird verdächtigt, Ende April 2021 Plakate mit der Aufschrift „3 Jahre kein Prozess“ und „Tatort Fretterode“ aufgestellt zu haben, auf denen die Angeklagten im Fretterode-Prozess zu sehen waren. Daraufhin hatte Thorsten Heise Anzeige gegen Unbekannt gestellt, weil die Plakate gegen das Kunsturheberrecht verstoßen haben sollen. Heise hatte den Journalisten in der Vergangenheit mehrmals öffentlich massiv bedroht. Adam, der für seinen Mandanten bereits im November 2021 Akteneinsicht beantragt hatte, kritisiert, der 32-jährige sei bislang noch gar nicht dazu befragt worden. Andernfalls hätte er nachweise können, dass er gar nicht vor Ort gewesen sei. Aufgrund der Pressefreiheit rechtswidrig, unnötig und unverhältnismäßig sei die Durchsuchung gewesen, die ausgerechnet nach dem Angriff auf die Journalisten 2018 „am Tattag unverständlicherweise gerade nicht durchgeführt wurde“, so Adam. Er hofft, dass die Staatsanwaltschaft Mühlhausen „die Adresse des Journalisten vor dem möglicherweise mit einer Anzeige bezweckten Zugriff durch Dritte schützt“. Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass Neonazis mit solchen Anzeigen einzig und allein den Zweck verfolgen, an die Daten ihnen missliebiger Personen zu kommen.