Mehr als drei Jahre ist es her, dass zwei Neonazis im kleinen Eichsfelddorf Fretterode einen brutalen Überfall auf zwei Journalisten begingen. Am Landgericht Mühlhausen läuft nun der Prozess.
Ein Blick auf die Tat und die Hintergründe. Es sind wahrlich keine Kleinigkeiten, die die Staatsanwaltschaft Mühlhausen den Neonazis Gianluca Bruno und Nordulf Heise vorwirft. In ihrer Anklage aus dem Februar 2019 wirft sie ihnen eine „gemeinschaftlich begangene Sachbeschädigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und schwerem Raub“ vor. Die Strafverfolgungsbehörde hält es für erwiesen an, dass die beiden Neonazis am 29. 04. 2018 zwei freie Journalisten angegriffen, sie schwer verletzt und beraubt zu haben. Die Journalisten hielten sich an diesem Tag mittags zu Recherchezwecken in dem Eichsfelddorf Fretterode auf und machten Fotos von dem Anwesen des NPD-Funktionärs und langjährig aktiven Neonazis Thorsten Heise.
Als sein politischer Ziehsohn Bruno und Nordulf Heise sie bemerkten, stürmten sie vom Grundstück auf die Straße in Richtung der Journalisten. Diese fuhren daraufhin in ihrem Auto davon, wurden jedoch von den beiden Neonazis erst zu Fuß und dann mit Thorsten Heises Auto in einer Hetzjagd mit teils rund 100 Stundenkilometern bis ins fast 10km entfernte Hohengandern verfolgt. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem „gemeinsamen Tatentschluss (…) das Fahrzeug der Geschädigten (…) von der Fahrbahn abzudrängen“. Bei einem Wendemanöver in Hohengandern geriet das Auto der Journalisten in einen Straßengraben und die Angeklagten sollen zum Angriff übergegangen zu sein. Nordulf Heise soll mit einem etwa 50cm langen massiven Schraubenschlüssel die Autoscheiben zertrümmert, die Reifen zerstochen und Reizgas ins Fahrzeuginnere gesprüht haben. Mit dem Schraubenschlüssel schlug er auf den einen Journalisten ein, der aus dem Auto flüchten wollte. Das Werkzeug gab er an Bruno weiter, der den anderen Betroffenen mit einem Baseballschläger attackiert hatte und dabei von ihm entwaffnet wurde. Mit dem Schraubenschlüssel schlug er auf ihn ein, so dass der Betroffene eine Kopfplatzwunde erlitt – später wurde bei ihm ein Schädelbruch diagnostiziert.
Unterdessen versuchte Heise in das Auto einzudringen und die Kameraausrüstung im Wert von knapp 1500 Euro zu rauben, um so offenbar an die Fotos auf der Speicherkarte zu gelangen. Dafür bedrohte er den Journalisten, stach mehrfach mit seinem Messer in den Innenraum des Autos und rammte es dem Betroffenen in den Oberschenkel. Als er die Kameraausrüstung entwendet hatte, sprühte Heise dem Betroffenen Reizgas ins Gesicht und fuhr mit Bruno in dem Auto davon. An dem Fahrzeug der Betroffenen entstand Totalschaden, die Journalisten blieben blutüberströmt am Fahrbahnrand zurück. Während des Überfalls hatte einer von ihnen geistesgegenwärtig die Speicherkarte, auf der sich auch die Fotos der Täter befanden, aus der Kamera entfernt und sie in seinen Strumpf gesteckt. Ihr Anwalt übergab die Karte zwei Tage später der Polizei, außerdem wurden einige Fotos in einer Göttinger Lokalzeitung veröffentlicht.
Knapp fünf Monate nach dem Überfall kam ein Gutachten über Spuren- und Vergleichsmaterial zu dem Schluss, dass Bruno und Heise „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ Insassen des Verfolgerautos waren. Bruno war von den beiden Betroffenen eindeutig identifiziert worden, auch die Hinweise auf Nordulf Heise haben sich unter anderem durch Zeugenaussagen schnell verdichtet. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen hingegen erklärte öffentlich, die Bilder müssten auf mögliche Manipulationen untersucht werden und heizte eine Täter-Opfer-Umkehr an. Brunos Anwalt, Klaus Kunze, griff darauf zurück, als er im Dezember 2018 behauptete, die Daten auf der Speicherkarte seien manipuliert. Auch die öffentlich geäußerte Skepsis der Strafverfolgungsbehörde, ob die Betroffenen wirklich Journalisten seien, war eine Steilvorlage für die spätere Verteidigungsstrategie der Neonazis, nach der die Betroffenen die eigentlichen Täter und Angreifer gewesen seien. „Objektive Anhaltspunkte für eine Tötungsabsicht“ will die Staatsanwaltschaft nicht sehen, bei den Tätern habe es keine „billigende Inkaufnahme eines Todes“ gegeben, sagte Oberstaatsanwalt Ulf Walther von der Staatsanwaltschaft in Mühlhausen nach dem Abschluss der Ermittlungen gegenüber der Presse.
Die Anwälte der Betroffenen nennen das „eine krasse Fehlentscheidung“, sie werten den Angriff zum Teil als versuchtes Totschlagsdelikt. „Wer mit einem Messer blindwütig durch eine eingeschlagene Autoscheibe nach einem Menschen sticht, muss damit rechnen, dass er ihn so schwer verletzt, dass der Angegriffene tödlich verletzt wird“, sagen sie.
Aus ihrer Sicht hätten die mutmaßlichen Täter schon wegen der angeklagten Delikte in Untersuchungshaft genommen werden müssen, sie ziehen den Vergleich zum Bankraub. Weil aber keine Fluchtgefahr gesehen wurde, befanden sich die beiden Neonazis weiterhin auf freiem Fuß. Dies habe im Rückblick zu einem „elendig lang verschleppten Verfahren geführt“, weil das Verfahren in der Prioritätenliste der Gerichte nach hinten rückte. Hinzu kamen eine Umbesetzung im Landgericht Mühlhausen und die Pandemie, so dass der Prozess vor dem Landgericht Mühlhausen erst dreieinhalb Jahre nach der brutalen Tat eröffnet wurde. In der Zwischenzeit konnte Heise gar eine Ausbildung bei einem Kader des Netzwerks „Blood&Honour“ in der Schweiz absolvieren. In der Folge kam es dort zu einem regen Austausch mit angereisten deutschen Neonazis. Den Anwälten der Betroffenen geht es in dem Prozess auch um den politischen Kontext der angeklagten Taten, um „der Tendenz entgegenzutreten, die Tat zu bagatellisieren und zu entpolitisieren.“
Denn die Tat im April 2018 zeigt exemplarisch nicht nur die Gefahr auf, die von Immobilien im Besitz der extremen Rechten ausgeht. Sie ist auch eine Konsequenz aus der von Thorsten Heise initiierten Kampagne, Journalist*innen zu einem der Haupt-Feindbilder der Neonazi-Szene zu machen.
Spätestens seit 2016 nennt er auf öffentlichen Veranstaltungen die Namen von anwesenden Berichterstatter*innen und macht Stimmung gegen sie. Auf einer NPD-Veranstaltung in Niedersachsen zwei Monate vor der Tat hetzte er wieder gegen die „Journallie“ und markiert neben Politiker*innen Journalist*innen als „Hauptfeinde“. Unter seinen Zuhörern waren auch Gianluca Bruno und Nordulf Heise, die den Worten am 29. April 2018 mutmaßlich Taten folgen lassen.
Zum Weiterlesen:
Ausführliche Infos zum Prozess und den Hintergründen gibt es bei der Kampagne Tatort Fretterode.
Gemeinsam mit Kai Budler haben wir 2020 die Neuauflage der Broschüre „Zwischen Gewalt, RechtsRock und Kommerz“ zum Neonazi-Funktionär Thorsten Heise veröffentlicht.
Mehr als drei Jahre ist es her, dass zwei Neonazis im kleinen Eichsfelddorf Fretterode einen brutalen Überfall auf zwei Journalisten begingen. Am Landgericht Mühlhausen läuft nun der Prozess.
Ein Blick auf die Tat und die Hintergründe. Es sind wahrlich keine Kleinigkeiten, die die Staatsanwaltschaft Mühlhausen den Neonazis Gianluca Bruno und Nordulf Heise vorwirft. In ihrer Anklage aus dem Februar 2019 wirft sie ihnen eine „gemeinschaftlich begangene Sachbeschädigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und schwerem Raub“ vor. Die Strafverfolgungsbehörde hält es für erwiesen an, dass die beiden Neonazis am 29. 04. 2018 zwei freie Journalisten angegriffen, sie schwer verletzt und beraubt zu haben. Die Journalisten hielten sich an diesem Tag mittags zu Recherchezwecken in dem Eichsfelddorf Fretterode auf und machten Fotos von dem Anwesen des NPD-Funktionärs und langjährig aktiven Neonazis Thorsten Heise.
Als sein politischer Ziehsohn Bruno und Nordulf Heise sie bemerkten, stürmten sie vom Grundstück auf die Straße in Richtung der Journalisten. Diese fuhren daraufhin in ihrem Auto davon, wurden jedoch von den beiden Neonazis erst zu Fuß und dann mit Thorsten Heises Auto in einer Hetzjagd mit teils rund 100 Stundenkilometern bis ins fast 10km entfernte Hohengandern verfolgt. Die Staatsanwaltschaft spricht von einem „gemeinsamen Tatentschluss (…) das Fahrzeug der Geschädigten (…) von der Fahrbahn abzudrängen“. Bei einem Wendemanöver in Hohengandern geriet das Auto der Journalisten in einen Straßengraben und die Angeklagten sollen zum Angriff übergegangen zu sein. Nordulf Heise soll mit einem etwa 50cm langen massiven Schraubenschlüssel die Autoscheiben zertrümmert, die Reifen zerstochen und Reizgas ins Fahrzeuginnere gesprüht haben. Mit dem Schraubenschlüssel schlug er auf den einen Journalisten ein, der aus dem Auto flüchten wollte. Das Werkzeug gab er an Bruno weiter, der den anderen Betroffenen mit einem Baseballschläger attackiert hatte und dabei von ihm entwaffnet wurde. Mit dem Schraubenschlüssel schlug er auf ihn ein, so dass der Betroffene eine Kopfplatzwunde erlitt – später wurde bei ihm ein Schädelbruch diagnostiziert.
Unterdessen versuchte Heise in das Auto einzudringen und die Kameraausrüstung im Wert von knapp 1500 Euro zu rauben, um so offenbar an die Fotos auf der Speicherkarte zu gelangen. Dafür bedrohte er den Journalisten, stach mehrfach mit seinem Messer in den Innenraum des Autos und rammte es dem Betroffenen in den Oberschenkel. Als er die Kameraausrüstung entwendet hatte, sprühte Heise dem Betroffenen Reizgas ins Gesicht und fuhr mit Bruno in dem Auto davon. An dem Fahrzeug der Betroffenen entstand Totalschaden, die Journalisten blieben blutüberströmt am Fahrbahnrand zurück. Während des Überfalls hatte einer von ihnen geistesgegenwärtig die Speicherkarte, auf der sich auch die Fotos der Täter befanden, aus der Kamera entfernt und sie in seinen Strumpf gesteckt. Ihr Anwalt übergab die Karte zwei Tage später der Polizei, außerdem wurden einige Fotos in einer Göttinger Lokalzeitung veröffentlicht.
Knapp fünf Monate nach dem Überfall kam ein Gutachten über Spuren- und Vergleichsmaterial zu dem Schluss, dass Bruno und Heise „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ Insassen des Verfolgerautos waren. Bruno war von den beiden Betroffenen eindeutig identifiziert worden, auch die Hinweise auf Nordulf Heise haben sich unter anderem durch Zeugenaussagen schnell verdichtet. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen hingegen erklärte öffentlich, die Bilder müssten auf mögliche Manipulationen untersucht werden und heizte eine Täter-Opfer-Umkehr an. Brunos Anwalt, Klaus Kunze, griff darauf zurück, als er im Dezember 2018 behauptete, die Daten auf der Speicherkarte seien manipuliert. Auch die öffentlich geäußerte Skepsis der Strafverfolgungsbehörde, ob die Betroffenen wirklich Journalisten seien, war eine Steilvorlage für die spätere Verteidigungsstrategie der Neonazis, nach der die Betroffenen die eigentlichen Täter und Angreifer gewesen seien. „Objektive Anhaltspunkte für eine Tötungsabsicht“ will die Staatsanwaltschaft nicht sehen, bei den Tätern habe es keine „billigende Inkaufnahme eines Todes“ gegeben, sagte Oberstaatsanwalt Ulf Walther von der Staatsanwaltschaft in Mühlhausen nach dem Abschluss der Ermittlungen gegenüber der Presse.
Aus ihrer Sicht hätten die mutmaßlichen Täter schon wegen der angeklagten Delikte in Untersuchungshaft genommen werden müssen, sie ziehen den Vergleich zum Bankraub. Weil aber keine Fluchtgefahr gesehen wurde, befanden sich die beiden Neonazis weiterhin auf freiem Fuß. Dies habe im Rückblick zu einem „elendig lang verschleppten Verfahren geführt“, weil das Verfahren in der Prioritätenliste der Gerichte nach hinten rückte. Hinzu kamen eine Umbesetzung im Landgericht Mühlhausen und die Pandemie, so dass der Prozess vor dem Landgericht Mühlhausen erst dreieinhalb Jahre nach der brutalen Tat eröffnet wurde. In der Zwischenzeit konnte Heise gar eine Ausbildung bei einem Kader des Netzwerks „Blood&Honour“ in der Schweiz absolvieren. In der Folge kam es dort zu einem regen Austausch mit angereisten deutschen Neonazis. Den Anwälten der Betroffenen geht es in dem Prozess auch um den politischen Kontext der angeklagten Taten, um „der Tendenz entgegenzutreten, die Tat zu bagatellisieren und zu entpolitisieren.“
Denn die Tat im April 2018 zeigt exemplarisch nicht nur die Gefahr auf, die von Immobilien im Besitz der extremen Rechten ausgeht. Sie ist auch eine Konsequenz aus der von Thorsten Heise initiierten Kampagne, Journalist*innen zu einem der Haupt-Feindbilder der Neonazi-Szene zu machen.
Spätestens seit 2016 nennt er auf öffentlichen Veranstaltungen die Namen von anwesenden Berichterstatter*innen und macht Stimmung gegen sie. Auf einer NPD-Veranstaltung in Niedersachsen zwei Monate vor der Tat hetzte er wieder gegen die „Journallie“ und markiert neben Politiker*innen Journalist*innen als „Hauptfeinde“. Unter seinen Zuhörern waren auch Gianluca Bruno und Nordulf Heise, die den Worten am 29. April 2018 mutmaßlich Taten folgen lassen.
Zum Weiterlesen:
Ausführliche Infos zum Prozess und den Hintergründen gibt es bei der Kampagne Tatort Fretterode.
Gemeinsam mit Kai Budler haben wir 2020 die Neuauflage der Broschüre „Zwischen Gewalt, RechtsRock und Kommerz“ zum Neonazi-Funktionär Thorsten Heise veröffentlicht.