Dieser Artikel ist Teil 5 von 7 der Reihe Jahresrückblick

Auch das Jahr 2021 war für die extreme Rechte in Thüringen durch die Corona-Pandemie bestimmt. Die Zahl der RechtsRock-Konzerte, die insbesondere in Thüringen in den vergangenen Jahren das zentrale Aktionsfeld der extremen Rechten bildeten, blieb daher weit unter dem Niveau der Vorjahre. Versuche digitale Formate als Ersatz für die entfallenen Veranstaltungen zu entwickeln, blieben weitgehend erfolglos. Wenngleich auch weiterhin Bestrebungen der Neonazi-Szene zu beobachten sind, mit Video- und Podcast-Formaten den digitalen Raum stärker zu besetzen.

Dennoch stieg die Zahl extrem rechter Aktionen in Thüringen insgesamt deutlich an. Dies lag neben den Protesten der sich weiter radikalisierenden Pandemie-Leugner:innen an den zahlreichen Wahlkampfauftritten der extrem rechten Thüringer AfD im Kontext der Bundestagswahl. Insbesondere aus dem Klientel der Pandemie-Leugner:innen-Szene kam es zudem zu einer Vielzahl von Bedrohungen und Angriffen.

Hinzu kommt, dass sich mit der 2020 entstandenen Gruppierung „Neue Stärke“ erneut eine Struktur der Neonazi-Szene formierte, die sich stark aktionistisch orientiert und im Moment zu den aktivsten neonazistischen Strukturen im Freistaat zu zählen ist. Im November verkündete die „Neue Stärke“ die Gründung einer eigenen Partei.

Radikalisierung der Pandemie-Leugner:innen-Szene

Seit dem Frühjahr 2020 hat sich in Thüringen eine mobilisierungsfähige rechte Mischszene gegen die Corona-Schutzmaßnahmen entwickelt, die seither regelmäßig und thüringenweit durch Proteste in Erscheinung tritt. Schon im vergangenen Jahr zeichnete sich eine deutliche  Radikalisierung der Proteste ab, die sich auch in 2021 fortsetzte.

Immer wieder kam es zu antisemitischen und NS-relativierenden Äußerungen durch Pandemie-Leugner:innen. So besuchte beispielsweise der Neonazi Sven Liebich die Gedenkstätte Buchenwald und verbreitete online Bilder, auf denen er sich mit den Verfolgten des Nationalsozialismus gleichsetzte. Bei zahlreichen Protesten und in den Social Media-Kanälen der Szene wurden vielfach sogenannte Judensterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ gezeigt und die Corona-Schutzmaßnahmen mit den nationalsozialistischen Verbrechen gleichgesetzt. Die zahlreichen Beispiele belegen, dass der Antisemitismus, der den Verschwörungserzählungen der Pandemie-Leugner:innen immanent ist, inzwischen immer offener zur Schau gestellt wird. Verschwörungsideologische Symboliken sind inzwischen fester Bestandteil der landeweiten Protestaktionen geworden. Die Verschärfung der Corona-Schutzmaßnahmen im Herbst 2021 und die Ausweitung der 2G-Regelungen führten zu einer erneuten Zunahme antisemitischer und geschichtsrevisionistischer Vergleiche. Die Gedenkstätte Buchenwald berichtete etwa von Hetzartikeln, beleidigenden Anrufen und Hassmails an Mitarbeitende der Gedenkstätte: „Am widerlichsten ist aber, dass die Corona-Schutzmaßnahmen mit den NS-Verbrechen gleichgesetzt sowie Ungeimpfte als „neue Juden“ und Gedenkstättenmitarbeiter:innen als Nazis, Faschisten und neue Dr. Mengeles beschimpft werden.“ U.a. die extrem rechte Initiative „Erfurt zeigt Gesicht“ verbreitete darüber hinaus Boykottaufrufe gegen Gastronomen und Unternehmen, die die Corona-Schutzmaßnahmen umsetzten. Neben den verwendeten Narrativen zeigt sich hieran auch die zunehmende Aggressivität der Pandemie-Leugner:innen.

Im Verlauf des Jahres kam es immer wieder zu Vorfällen, bei denen Menschen angefeindet und bedroht wurden. Insbesondere für Personen in der (Kommunal-) Politik hat sich die Bedrohungslage deutlich erhöht. Es ist eine Enthemmung gegenüber Menschen zu beobachten, die als Vertreter:innen staatlicher Institutionen oder für die Umsetzung allgemeingültiger Hygiene-Maßnahmen identifiziert werden.

Die konkreten Vorfälle reichen dabei von Drohschreiben an impfende Ärzt:innen und Schulleiter:innen bis hin zu tätlichen Angriffen auf Impfteams, Polizist:innen und Kommunal-Politiker:innen. Im Frühjahr gab es mehrere Fälle bei denen Landräte auf Plakaten im öffentlichen Raum diffamiert und bedroht wurden. Der Bürgermeister der Südthüringer Gemeinde Floh-Seligenthal wurde auf seinem privaten Grundstück bedrängt. Die Beispiele zeigen nicht zuletzt das Gewaltpotential, welches von den Pandemie-Leugner:innen ausgeht.

Zusammenarbeit am rechten Rand

Die Pandemie-Leugner:innen arbeiten mit verschiedenen Spektren der extremen Rechten von „Reichsbürgern“ und Holocaust-Leugner:innen bis hin zu den Orts- und Regionalverbänden der AfD zusammen. Nahezu flächendeckend sind Akteur:innen der AfD in das Protestgeschehen der Pandemie-Leugner:innen involviert und versuchen auf kommunal- und landesparlamentarischer Ebene an die Narrative der Szene anzuknüpfen. Die Inszenierung der Protestierenden als „Widerstandsbewegung“ gegen ein vermeintlich „diktatorisches“ oder „faschistisches“ Regime sind anschlussfähig für die AfD und ihre Strategien zur Diffamierung demokratischer Institutionen. Seit November sammelt die AfD nun landesweit Unterschriften im Rahmen ihrer Kampagne „Volksentscheid Thüringen“, der sich gegen die Corona-Politik der Landes- und Bundesregierung richtet.

Doch auch an anderer Stelle zeigte sich der Schulterschluss zwischen AfD und der klassischen Neonazi-Szene. Nachdem es zu Bränden in mehreren neonazistischen Szene-Immobilien kam, sprachen Kader der Szene von einer „linksextremen Anschlagsserie“ und verbreiteten online Drohvideos und Aufrufe zur Selbstjustiz. Der langjährige NPD-Kader und enge Bekannte von Höcke, Thorsten Heise,
veröffentlichte im April ein Video, in dem er sich vor einem linksalternativen Jugendzentrum in Göttingen filmen ließ. Er rief die Neonazi-Szene dazu auf den „Dialog mit der örtlichen Antifa“ zu suchen und adressierte auch die Sicherheitsbehörden: „Macht euren Job! Weil, wenn ihr euren Job nicht machen könnt, machen wir ihn.“

Wenig später, im Mai des Jahres, fand in Eisenach ein Vernetzungstreffen mehrerer Thüringer Neonazi-Szene-Größen statt. Daran nahmen Patrick Wieschke, Thorsten Heise, Tommy Frenck und Sebastian Schmidtke und der Neonazi-YouTuber Nikolai Nerling teil. Sie verbreiteten Videos, in denen sie mit Selbstjustiz drohten.

Auch Abgeordnete der AfD beteiligten sich an den Spekulationen über eine mögliche Anschlagsserie. Der Thüringer AfD-Vorsitzende Höcke beschuldigte beispielsweise MOBIT als „Stichwortgeber“ der Brände.

Schon unmittelbar nach dem Brand in der extrem rechten „Gedächtnisstätte“ in Guthmannshausen hatte der AfD-Abgeordnete und Polizeibeamte Torsten Czuppon sich vor der Immobilie gefilmt und das Statement in den Sozialen Medien veröffentlicht. Darin sprach er von einem „feigen und hinterhältigen Angriff“ und dass er entsetzt sei, wie „unsere politischen Gegner ihren politischen Kampf führen.“ Czuppon sicherte zudem dem geschichtsrevisionistischen Betreiber:innen der Immobilie, die immer wieder auch Holocaust-Leugner:innen ihre Räume zur Verfügung stellten, „Hilfe und Unterstützung“ zu.

Seitens verschiedener neonazistischer Kader kam es – wie auch schon im Vorfeld der Landtagswahl 2019 – vor der Bundestagswahl zu Wahlaufrufen für die AfD. So warb etwa der Neonazi-YouTuber Nikolai Nerling („Der Volkslehrer“) dafür, die AfD zu wählen. Ähnliche Appelle gab es bereits auch von Tommy Frenck, welcher in diesem Jahr jedoch den CDU Kandidaten Hans Georg Maaßen unterstützte.

Bundestagswahl 2021 – AfD-Ergebnis in Thüringen stabil

Diese Wahlappelle aus der Neonazi-Szene fügen sich ein, in den fortlaufenden elektoralen Bedeutungsverlust der NPD seit Auftreten der AfD. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die NPD in Thüringen nur noch 0,3% der Wähler:innenstimmen (2017 waren es noch 1,2%). Damit verliert die Partei – und dies auch im Bundesergebnis – sogar den Anspruch auf Wahlkampfkostenerstattung. Ein Wahlkampf der Partei war ohnehin in Thüringen nicht wahrzunehmen. Damit verbleiben nur noch wenige regionale Schwerpunkte und einige Kommunalabgeordnete der Partei.

Daneben trat 2021 in Thüringen auch die aus der Pandemie-Leugner:innen-Szene entstandene Kleinstpartei „dieBasis“ zur Wahl an und erhielt 1,6% der Stimmen im Freistaat. Zuvor gelang es der Partei bei der Kommunalwahl im Wartburgkreis-Eisenach im Juni ein Mandat im Kreistag zu erhalten.

Der AfD gelang es bei der Bundestagswahl dagegen erstmals als stärkste Partei in Thüringen abzuschneiden. Mit 24,0% der Stimmen konnte die Partei ihr Ergebnis von 2017 leicht verbessern. Damit war Thüringen das einzige Bundesland, in dem die AfD einen leichten Stimmenzuwachs verzeichnen konnte. Einerseits scheint zwar das Wähler:innen-Potential der Partei in Thüringen ausmobilisiert zu sein, aber andererseits hat sich ein stabiles Stammwähler:innen-Milieu herausgebildet, welches über Jahre hinweg der Partei ihre Stimmen überlässt. Die Werte an sich können also kaum überraschen, vielmehr aber die hohe Stabilität mit welcher die AfD dieses Potential mobilisieren kann. Für die innerparteilichen Auseinandersetzungen der AfD ist das starke Abschneiden der als Flügel-Länder bekannten Landesverbände Sachsen und Thüringen, ein weiterer Machtzuwachs für das Lager um den extrem rechten Thüringer Fraktionschef Höcke.

Im Vorfeld der Wahl hatte die AfD in Thüringen Hunderte Infostände – insbesondere auch in den ländlichen Regionen – durchgeführt. Teilweise kündigten Abgeordnete „Dörfertouren“ in ihren Wahlkreisen an, bei denen mehrere Infostände pro Tag stattfanden. Die Masse an AfD-Infoständen diente augenscheinlich auch dazu, eine digitale Omnipräsenz zu kreieren. Die Partei kombinierte damit reale Wahlkampfaktionen nahezu umfassend mit dem Transfer in die sozialen Netzwerke. Auch nach der Wahl setzte die AfD weiter auf die Strategie mit zahlreichen landesweiten Infoständen präsent zu sein und sich als Kümmererpartei im ländlichen Raum zu generieren.

Unsere Analyse zu den Thüringer Ergebnissen bei der Bundestagswahl 2021 gibt es hier.

Extrem rechte Gewalt – Thüringer Justizproblem

Protestkundgebung vor dem Erfurter Landgericht während des Ballstädt-Verfahrens im Juli 2021. Bild: MOBIT

Nach den zahlreichen schweren Übergriffen der vergangenen Jahre, fanden 2021 mehrere Prozesse gegen neonazistische Gewalttäter statt.

Im Februar des Jahres endete vor dem Geraer Landgericht der Prozess gegen die extrem rechte Hooligan-Gruppe „Jungsturm“ aus dem Fan-Umfeld des FC Rot-Weiß Erfurt mit Haft- und Bewährungsstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch für die vier Angeklagten. Die Angeklagten sollen an mehreren Schlägereien und Überfällen beteiligt gewesen sein. Das Landgericht Gera hatte die Gruppe zudem als kriminelle Vereinigung eingestuft. Gegen das Urteil hat die Verteidigung inzwischen Rechtsmittel eingelegt. Mitglieder der Gruppe nahmen in den vergangenen Jahren wiederholt an Kampfsport-Veranstaltungen der extremen Rechten teil und sind international in der Neonazi-Szene vernetzt.

Im April des Jahres endete sieben Jahre nach einem brutalen Angriff auf eine Kirmesgesellschaft das Ballstädt-Verfahren. Nachdem der Bundesgerichtshof die im Jahr 2017 verhängten Freiheits- und Bewährungsstrafen aufgrund formaler Fehler aufgehoben hatte, musste das Verfahren neu aufgerollt werden. Für die Angeklagten endete der erneute Prozess nach einem Deal mit der Staatsanwaltschaft mit Bewährungsstrafen. Die Täter, die über viele Jahre in der bundes- und europaweiten militanten Neonazi-Szene und mutmaßlich auch in Drogen- und Waffengeschäften aktiv sind, kommen damit mit geringen Strafen davon. Nur wenige Wochen zuvor gab es eine großangelegte Razzia gegen die „Turonen“, zu denen Teile der Täter des Ballstädt-Überfalls zu zählen sind, bei der Drogen, Waffen und größere Mengen Bargeld gefunden wurden.

Im September des Jahres begann schließlich in Mühlhausen das Verfahren wegen eines brutalen Übergriffs auf zwei Journalisten in Fretterode. Auch dieser Prozess wurde erst über drei Jahre nach der eigentlichen Tat eröffnet. Die Angeklagten sollen die Journalisten, die Fotos vor der Immobilie des Neonazi-Funktionärs Thorsten Heise gemacht hatten, verfolgt, ihrer Kameratechnik beraubt und schwer verletzt haben. Die Beratungsstelle ezra, die den Prozess begleitet, kritisierte bereits eklatante Fehler in der polizeilichen Ermittlungsarbeit und die Verschleppung des Verfahrens.

Die genannten Prozesse reihen sich ein in eine Liste schwerer Übergriffe, deren juristische Aufarbeitung Jahre nach den Taten nicht abgeschlossen ist oder mit milden Urteilen für die Täter:innen endeten. Für antifaschistisch und demokratische Engagierte in Thüringen sind diese Prozesse fatale Signale. Für neonazistische Täter:innen tragen sie dagegen dazu bei, dass sich Thüringen weiter zur Wohlfühlzone entwickelt.