Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind das Zentrum extrem rechter „Corona-Proteste“
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erleben derzeit eine wachsende Protestmobilisierung im Zeichen der Corona-Krise und entwickeln sich zum Motor einer bundesweiten Radikalisierung der Pandemie-Leugner*innen-Szene. Die Demonstrationen stellen eine große Herausforderung für zivilgesellschaftliche Akteur*innen dar, die sich vor Ort für eine demokratische Kultur engagieren. Positionieren sie sich klar gegen deren demokratiefeindlichen Charakter, geraten sie in den Fokus der Protestierenden, werden angefeindet und bedroht.
Die nachfolgende Analyse basiert auf der Beratungsarbeit in den drei ostdeutschen Bundesländern und will einen Beitrag zum Verständnis des aktuellen Protestgeschehens leisten.
Die Aktionen der „Querdenker*innen“ und Impfgegner*innen richten sich vordergründig gegen die behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Auch zeichnet sich der Protest auf den ersten Blick durch seine ideologische Heterogenität aus. Zweifelsohne formiert sich hier derzeit keine geschlossene rechtsextreme Bewegung. Einen Großteil der Protestierenden eint jedoch eine aggressive Haltung gegen die parlamentarische Demokratie und ihre Vertreter*innen. Die Demonstrationen sind geprägt von autoritären Narrativen, antisemitischen Verschwörungserzählungen und einer verharmlosenden Instrumentalisierung der Geschichte des Nationalsozialismus. Die Corona-Krise wird ganz im Sinn der extremen Rechten als Krise der Demokratie gedeutet und mit Umsturzfantasien verbunden. Dabei greifen die Wortführer*innen des Protests gezielt auf die Umbruch- und Krisenerfahrungen in Ostdeutschland zurück. Bereits 2014 bei „Pegida“ und den asylfeindlichen Protesten der Jahre 2015/16 vermochten es die extreme Rechte mit ihren Positionen, zahlreiche Menschen aus unterschiedlichen Spektren der Gesellschaft zu mobilisieren. Seither kann bei unterschiedlichen Anlässen in ähnlicher Form immer wieder auf diese Protesterfahrung zurückgegriffen werden.
Autoritäre Ostdeutschlanddiskurse als ideologische Klammer
Auffällig ist bei allen Protesten der Versuch, an die Ästhetik und Rhetorik der Demonstrationen zum Ende der DDR im Sommer und Herbst 1989 anzuknüpfen. So werden die „Spaziergänger“ aufgefordert, möglichst keine Transparente, dafür aber Kerzen mitzuführen und vor Rathäusern abzustellen sowie „keine Gewalt“ anzuwenden. Immer wieder wird dabei das Narrativ bedient, das „System“ sei am Ende. Auch die Polizei würde sich bald auf die Seite der Demonstrierenden stellen. Derzeitig würde man in einer Diktatur leben, die man mithilfe der Proteste überwinden werde. Permanent werden damit gewalttätige Umsturzfantasien der Protestteilnehmenden legitimiert. Zu den Verfechtern dieser Erzählungen gehört insbesondere die AfD. Auf der Straße und in den parlamentarischen Debatten trägt sie gezielt nicht nur zur Delegitimierung der Corona-Eindämmungspolitik sondern auch der liberalen Demokratie bei.
Die extrem rechte Eliten- und Institutionenkritik findet gerade in den ostdeutschen Bundesländern große Anknüpfungspunkte, was durch ein bereits seit Jahrzehnten vorhandenes und zum Teil kulturell etabliertes Misstrauen gegen staatliches Handeln erklärt werden kann. Die Debatte über geeignete Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gerät dabei immer mehr in den Hintergrund. Stattdessen wird jede Handlung und jede Entscheidung von Regierung und Parlament als weiteres Indiz dafür aufgeführt, dass das „Establishment“ die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Bürger*innen unterdrücken wolle. Die Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit des Staates bei der Durchsetzung der eigenen – und für alle geltenden – Regeln schwächt nicht das Radikalisierungspotenzial der Protest-Akteur*innen. Bereits 2020 wurde deutlich, dass dies vielmehr das Gefühl der Selbstwirksamkeit der Antidemokrat*innen stärkt und Umsturz- fantasien beflügelt. So trägt der Staat ungewollt zur Radikalisierung von „Querdenken“ bei. Diese Gefahr wird durch zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteur*innen kritisiert, die mit ihren offenen Briefen und öffentlichen Appellen allerdings kaum Gehör finden.
Protestakteur*innen und Mobilisierungen
Die Mobilisierung für die „Corona-Proteste“ verläuft überwiegend über soziale Netzwerke und Messenger- Dienste, wobei sich insbesondere das kaum regulierte „Telegram“ großer Beliebtheit erfreut. In den seltensten Fällen sind die politischen Versammlungen angemeldet. Folglich ist auch schwer auszumachen, welche Akteur*innen jeweils vor Ort die treibenden Kräfte hinter den Demonstrationen sind.
Seit Beginn der Proteste sehen wir eine aktive Beteiligung der organisierten extremen Rechten, allem voran der AfD, aber auch von Akteur*innen der NPD, des III. Weges und lokaler Gruppierungen wie dem Netzwerk „Freie Sachsen“ an Organisation und Durchführung der Versammlungen. Diese Protagonist*innen der extremen Rechten verfügen – anders als die Mehrheit der Teilnehmenden – über Protesterfahrung und können auf infrastrukturelle Ressourcen zur Durchführung von Demonstrationen zurückgreifen, was vor allem zu Beginn des Protestgeschehens 2020 von zentraler Bedeutung war.
Insbesondere die AfD hat im Laufe der Zeit ihre Strategie in Bezug auf die Proteste geändert: Ging die Partei zunächst gegenüber „Querdenken“ auf Distanz und konzentrierte sich später auf die organisatorische Unterstützung in der „zweiten Reihe“, übernimmt sie nun vielerorts eine prominente Führungsrolle. Dies wird beispielsweise in Thüringen deutlich, wo der gerade erst von Covid genesene Landesvorsitzende Björn Höcke auf zahlreichen Kundgebungen im ländlichen Raum Präsenz zeigt.
Allerdings fällt beim aktuellen Protestgeschehen auf, dass zur Mobilisierung scheinbar führende Organisationen oder Personen nicht mehr gebraucht werden. Die autoritären und ostidentitären Protesterzählungen vermögen es mittlerweile vielerorts, über einzelne Sharepics oder Nachrichten in den Messenger-Diensten mehrere hundert Menschen auf die Straße zu bringen.
Ausblick
Die Narrative der Pandemie-Leugner*innen und –Verharmloser*innen haben bereits seit vielen Jahren mit den asylfeindlichen Demonstrationen ihre Mobilisierungsfähigkeit in Ostdeutschland bewiesen. Den extrem rechten Wortführer*innen gelingt es damit, themenunabhängig und anlassbezogen auf ein festes Protestpotential zurückgreifen. Zugleich befördern die Narrative eine Radikalisierung des gegenwärtigen Protests. Indem dieser als Akt des Widerstands und der Notwehr gegen ein „Unrechtsregime“ interpretiert wird, liefert er seinen Protagonist*innen eine vermeintliche Legitimation für Gewalttätigkeiten und Bedrohungen von Akteur*innen aus Politik, Medien und Wissenschaft.
Auch wenn es sich bei den Protestierenden um eine überschaubare Minderheit handelt, muss ihr Gefahrenpotential – insbesondere für politische Entscheidungsträgern*innen, Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen und im Einzelhandel, Journalist*innen sowie für Personen des öffentlichen Lebens – ernstgenommen werden. In den letzten Jahrzehnten haben wir immer wieder beobachtet, dass im Zuge einer dynamischen Protestbewegung auf der Straße einzelne Akteur*innen zu Gewalt als Mittel der Wahl greifen. Das Ende der ersten Welle rassistischer Proteste 2015 läutete eine flächendeckende Angriffswelle auf Unterkünfte von Geflüchteten ein. Damals fanden hunderte Brandanschläge statt. Auch die Attentate von Hanau und Halle sowie der Mord an Walter Lübcke sind das Ergebnis hasserfüllter Proteste, Diskurse und Narrative. Die Morde von Idar-Oberstein und Königs Wusterhausen zeigen, dass auch innerhalb des Corona- Kontextes schwere Gewalttaten möglich sind. Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass im Prinzip jede Person,
welche die Maßnahmen durchsetzt oder sogar nur einhält, als „Systemling“ gelesen und somit als Feind markiert werden kann. Die Zunahme des diskursiven öffentlichen Drucks in Bezug auf Impfungen und die Ausweitung eines Kontrolldrucks im öffentlichen Raum gibt den Protesten sowohl neue Anlässe als auch Bestätigung und birgt die Gefahr einer weiteren Radikalisierung.
Dies ist jedoch kein Grund, sich auf die Forderungen der Demonstrierenden einzulassen. Um eine weitere Vergrößerung des Resonanzraumes der derzeitigen Proteste zu verhindern, braucht es einerseits ein konsequentes Handeln staatlicher Akteure, die Verstöße gegen Schutzverordnungen zur Eindämmung der Pandemie auf den Protesten ahnden und verfolgen. Andererseits muss der Resonanzraum für diejenigen vergrößert werden, die sich an die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie halten und Einschränkungen in ihrem Alltag in Kauf nehmen. Dabei muss auch Kritik an der Krisenpolitik möglich sein. Wer darüber diskutiert, ob bestimmte Maßnahmen zielführend zur Eindämmung der Pandemie oder ob bestimmte Einschränkungen verhältnismäßig sind, muss einen legitimen Raum dafür finden, ohne dass sofort der Vorwurf erhoben wird, die Gesundheit und das Leben von Menschen zu missachten.
Einen Einblick in die bundesweiten Corona-Proteste der letzten 12 Monate, deren Auswirkungen auf die demokratische Zivilgesellschaft sowie Empfehlungen für den Umgang liefert das aktuell erschienene Policy-Paper des Bundesverbandes Mobile Beratung.
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind das Zentrum extrem rechter „Corona-Proteste“
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erleben derzeit eine wachsende Protestmobilisierung im Zeichen der Corona-Krise und entwickeln sich zum Motor einer bundesweiten Radikalisierung der Pandemie-Leugner*innen-Szene. Die Demonstrationen stellen eine große Herausforderung für zivilgesellschaftliche Akteur*innen dar, die sich vor Ort für eine demokratische Kultur engagieren. Positionieren sie sich klar gegen deren demokratiefeindlichen Charakter, geraten sie in den Fokus der Protestierenden, werden angefeindet und bedroht.
Die nachfolgende Analyse basiert auf der Beratungsarbeit in den drei ostdeutschen Bundesländern und will einen Beitrag zum Verständnis des aktuellen Protestgeschehens leisten.
Die Aktionen der „Querdenker*innen“ und Impfgegner*innen richten sich vordergründig gegen die behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Auch zeichnet sich der Protest auf den ersten Blick durch seine ideologische Heterogenität aus. Zweifelsohne formiert sich hier derzeit keine geschlossene rechtsextreme Bewegung. Einen Großteil der Protestierenden eint jedoch eine aggressive Haltung gegen die parlamentarische Demokratie und ihre Vertreter*innen. Die Demonstrationen sind geprägt von autoritären Narrativen, antisemitischen Verschwörungserzählungen und einer verharmlosenden Instrumentalisierung der Geschichte des Nationalsozialismus. Die Corona-Krise wird ganz im Sinn der extremen Rechten als Krise der Demokratie gedeutet und mit Umsturzfantasien verbunden. Dabei greifen die Wortführer*innen des Protests gezielt auf die Umbruch- und Krisenerfahrungen in Ostdeutschland zurück. Bereits 2014 bei „Pegida“ und den asylfeindlichen Protesten der Jahre 2015/16 vermochten es die extreme Rechte mit ihren Positionen, zahlreiche Menschen aus unterschiedlichen Spektren der Gesellschaft zu mobilisieren. Seither kann bei unterschiedlichen Anlässen in ähnlicher Form immer wieder auf diese Protesterfahrung zurückgegriffen werden.
Autoritäre Ostdeutschlanddiskurse als ideologische Klammer
Auffällig ist bei allen Protesten der Versuch, an die Ästhetik und Rhetorik der Demonstrationen zum Ende der DDR im Sommer und Herbst 1989 anzuknüpfen. So werden die „Spaziergänger“ aufgefordert, möglichst keine Transparente, dafür aber Kerzen mitzuführen und vor Rathäusern abzustellen sowie „keine Gewalt“ anzuwenden. Immer wieder wird dabei das Narrativ bedient, das „System“ sei am Ende. Auch die Polizei würde sich bald auf die Seite der Demonstrierenden stellen. Derzeitig würde man in einer Diktatur leben, die man mithilfe der Proteste überwinden werde. Permanent werden damit gewalttätige Umsturzfantasien der Protestteilnehmenden legitimiert. Zu den Verfechtern dieser Erzählungen gehört insbesondere die AfD. Auf der Straße und in den parlamentarischen Debatten trägt sie gezielt nicht nur zur Delegitimierung der Corona-Eindämmungspolitik sondern auch der liberalen Demokratie bei.
Die extrem rechte Eliten- und Institutionenkritik findet gerade in den ostdeutschen Bundesländern große Anknüpfungspunkte, was durch ein bereits seit Jahrzehnten vorhandenes und zum Teil kulturell etabliertes Misstrauen gegen staatliches Handeln erklärt werden kann. Die Debatte über geeignete Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gerät dabei immer mehr in den Hintergrund. Stattdessen wird jede Handlung und jede Entscheidung von Regierung und Parlament als weiteres Indiz dafür aufgeführt, dass das „Establishment“ die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Bürger*innen unterdrücken wolle. Die Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit des Staates bei der Durchsetzung der eigenen – und für alle geltenden – Regeln schwächt nicht das Radikalisierungspotenzial der Protest-Akteur*innen. Bereits 2020 wurde deutlich, dass dies vielmehr das Gefühl der Selbstwirksamkeit der Antidemokrat*innen stärkt und Umsturz- fantasien beflügelt. So trägt der Staat ungewollt zur Radikalisierung von „Querdenken“ bei. Diese Gefahr wird durch zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteur*innen kritisiert, die mit ihren offenen Briefen und öffentlichen Appellen allerdings kaum Gehör finden.
Protestakteur*innen und Mobilisierungen
Die Mobilisierung für die „Corona-Proteste“ verläuft überwiegend über soziale Netzwerke und Messenger- Dienste, wobei sich insbesondere das kaum regulierte „Telegram“ großer Beliebtheit erfreut. In den seltensten Fällen sind die politischen Versammlungen angemeldet. Folglich ist auch schwer auszumachen, welche Akteur*innen jeweils vor Ort die treibenden Kräfte hinter den Demonstrationen sind.
Seit Beginn der Proteste sehen wir eine aktive Beteiligung der organisierten extremen Rechten, allem voran der AfD, aber auch von Akteur*innen der NPD, des III. Weges und lokaler Gruppierungen wie dem Netzwerk „Freie Sachsen“ an Organisation und Durchführung der Versammlungen. Diese Protagonist*innen der extremen Rechten verfügen – anders als die Mehrheit der Teilnehmenden – über Protesterfahrung und können auf infrastrukturelle Ressourcen zur Durchführung von Demonstrationen zurückgreifen, was vor allem zu Beginn des Protestgeschehens 2020 von zentraler Bedeutung war.
Insbesondere die AfD hat im Laufe der Zeit ihre Strategie in Bezug auf die Proteste geändert: Ging die Partei zunächst gegenüber „Querdenken“ auf Distanz und konzentrierte sich später auf die organisatorische Unterstützung in der „zweiten Reihe“, übernimmt sie nun vielerorts eine prominente Führungsrolle. Dies wird beispielsweise in Thüringen deutlich, wo der gerade erst von Covid genesene Landesvorsitzende Björn Höcke auf zahlreichen Kundgebungen im ländlichen Raum Präsenz zeigt.
Allerdings fällt beim aktuellen Protestgeschehen auf, dass zur Mobilisierung scheinbar führende Organisationen oder Personen nicht mehr gebraucht werden. Die autoritären und ostidentitären Protesterzählungen vermögen es mittlerweile vielerorts, über einzelne Sharepics oder Nachrichten in den Messenger-Diensten mehrere hundert Menschen auf die Straße zu bringen.
Ausblick
Die Narrative der Pandemie-Leugner*innen und –Verharmloser*innen haben bereits seit vielen Jahren mit den asylfeindlichen Demonstrationen ihre Mobilisierungsfähigkeit in Ostdeutschland bewiesen. Den extrem rechten Wortführer*innen gelingt es damit, themenunabhängig und anlassbezogen auf ein festes Protestpotential zurückgreifen. Zugleich befördern die Narrative eine Radikalisierung des gegenwärtigen Protests. Indem dieser als Akt des Widerstands und der Notwehr gegen ein „Unrechtsregime“ interpretiert wird, liefert er seinen Protagonist*innen eine vermeintliche Legitimation für Gewalttätigkeiten und Bedrohungen von Akteur*innen aus Politik, Medien und Wissenschaft.
Auch wenn es sich bei den Protestierenden um eine überschaubare Minderheit handelt, muss ihr Gefahrenpotential – insbesondere für politische Entscheidungsträgern*innen, Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen und im Einzelhandel, Journalist*innen sowie für Personen des öffentlichen Lebens – ernstgenommen werden. In den letzten Jahrzehnten haben wir immer wieder beobachtet, dass im Zuge einer dynamischen Protestbewegung auf der Straße einzelne Akteur*innen zu Gewalt als Mittel der Wahl greifen. Das Ende der ersten Welle rassistischer Proteste 2015 läutete eine flächendeckende Angriffswelle auf Unterkünfte von Geflüchteten ein. Damals fanden hunderte Brandanschläge statt. Auch die Attentate von Hanau und Halle sowie der Mord an Walter Lübcke sind das Ergebnis hasserfüllter Proteste, Diskurse und Narrative. Die Morde von Idar-Oberstein und Königs Wusterhausen zeigen, dass auch innerhalb des Corona- Kontextes schwere Gewalttaten möglich sind. Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass im Prinzip jede Person,
welche die Maßnahmen durchsetzt oder sogar nur einhält, als „Systemling“ gelesen und somit als Feind markiert werden kann. Die Zunahme des diskursiven öffentlichen Drucks in Bezug auf Impfungen und die Ausweitung eines Kontrolldrucks im öffentlichen Raum gibt den Protesten sowohl neue Anlässe als auch Bestätigung und birgt die Gefahr einer weiteren Radikalisierung.
Dies ist jedoch kein Grund, sich auf die Forderungen der Demonstrierenden einzulassen. Um eine weitere Vergrößerung des Resonanzraumes der derzeitigen Proteste zu verhindern, braucht es einerseits ein konsequentes Handeln staatlicher Akteure, die Verstöße gegen Schutzverordnungen zur Eindämmung der Pandemie auf den Protesten ahnden und verfolgen. Andererseits muss der Resonanzraum für diejenigen vergrößert werden, die sich an die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie halten und Einschränkungen in ihrem Alltag in Kauf nehmen. Dabei muss auch Kritik an der Krisenpolitik möglich sein. Wer darüber diskutiert, ob bestimmte Maßnahmen zielführend zur Eindämmung der Pandemie oder ob bestimmte Einschränkungen verhältnismäßig sind, muss einen legitimen Raum dafür finden, ohne dass sofort der Vorwurf erhoben wird, die Gesundheit und das Leben von Menschen zu missachten.
Einen Einblick in die bundesweiten Corona-Proteste der letzten 12 Monate, deren Auswirkungen auf die demokratische Zivilgesellschaft sowie Empfehlungen für den Umgang liefert das aktuell erschienene Policy-Paper des Bundesverbandes Mobile Beratung.