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Im Kampf für die „völkische Wiedergeburt“: Extrem rechte Kampfsportstrukturen in Thüringen

Ein Teilnehmer des extrem rechten "Eichsfeldtages" in Leinefelde 2019 mit Shirt des neonazistischen Kampfsportturniers "Kampf der Nibelungen". Quelle: MOBIT
Ein Teilnehmer des extrem rechten "Eichsfeldtages" in Leinefelde 2019 mit Shirt des neonazistischen Kampfsportturniers "Kampf der Nibelungen". Quelle: MOBIT

Anfang 2019 kursierten in der Neonazi-Szene Flyer für den „Heureka“-Kongress in „Mitteldeutschland“. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Neonazi-Gruppe „Wardon 21“. Hinter dem Namen versteckt sich eine Neonazi-Kampfsport-Gruppe, die sich als „Straight Edge“ inszeniert und ihre ideologische Ausrichtung als Kampf für die „Volksgesundheit“ versteht. Dahinter steckt knallharte nationalsozialistische Ideologie. Am 11. Mai fand der Kongress mit rund 100 Teilnehmer*innen in der Gedächtnisstätte in Guthmannshausen statt. Einmal mehr war Thüringen mit seinen zahlreichen Neonazi-Immobilien Ort für bundesweite Treffen der extrem rechten Szene. Schon rund ein dreiviertel Jahr zuvor, im Oktober 2018, fand das Jahresabschlusstreffen der Organisatoren des „Kampf der Nibelungen“ (KDN) in der NPD-Geschäftsstelle in Eisenach statt. Beim KDN handelt es sich um das größte neonazistische Kampfsport-Event in Deutschland, welches durch seine internationale Vernetzung eine herausgehobene Stellung hat und mittlerweile mit mehreren hundert Besucher*innen stattfindet. Thüringen ist in den letzten Monaten nicht nur Rückzugsraum für die Netzwerktreffen der Szene geworden, an den Kampfsportturnieren der letzten Jahre nahmen zahlreiche Neonazis aus dem Freistaat auch als Kämpfer und Besucher teil. Als im Juni 2018 Neonazis zum Kampfsport-Event „TIWAZ“ nach Sachsen luden, kamen rund 250 Personen. Rund 30 der Kämpfer und Besucher*innen waren aus Thüringen angereist (vgl. Thüringer Landtag Drucksache 6/6231) . Damit zeigt sich auf vielen Ebenen, dass die extrem rechte Szene im Freistaat mittlerweile aktiv in die Netzwerke der bundesweiten und auch internationalen Kampfsportszene involviert ist. Neu sind diese Erscheinungen gewiss nicht, aber es ist in den letzten Jahren in der extrem rechten Szene ein enormer Hype um das Thema Kampfsport zu beobachten und damit auch eine „Professionalisierung der Gewalt“.

Auch die aktuelle Ausgabe des Magazins Der Rechte Rand beschäftigt sich mit den Entwicklungen der extrem rechten Kampfsportszene.
Quelle: https://www.der-rechte-rand.de/
Auch die aktuelle Ausgabe des Magazins Der Rechte Rand beschäftigt sich mit den Entwicklungen der extrem rechten Kampfsportszene.
Quelle: https://www.der-rechte-rand.de

Ideologie: Gewalt, Umsturz und Männlichkeit

Neben den zahlreichen entstandenen neuen Szene-Veranstaltungen, Kleidungsmarken und Gruppen versucht die Szene dies auch mit Ideologie zu unterfüttern. Dabei sind ideologische Ausprägungen festzustellen, die sich von der klassischen Neonazi-Szene bis hin zur „Neuen Rechten“ in weiten Teilen gleichen. Schon 2017 erschien auf der Homepage der „neurechten“ Schüler*innenzeitung „Blaue Narzisse“ ein Text, in dem es unmissverständlich heißt:

„Männer müssen kämpfen. Sie müssen Frau und Kind, Volk und Vaterland verteidigen..“

„neurechte“ Schüler*innenzeitung „Blaue Narzisse“

Kaum ein Jahr später, Anfang 2018, formulierte dies einer der Autoren auf der extrem rechten Seite „Gegenstrom“ mit Bezug zu verhassten politischen Gegner*innen ähnlich:

„Sicher zum Argwohn links-grüner Genderideologen bietet der Kampfsport daher auch einen bedeutenden metapolitischen Ersatz zur Schärfung der Männlichkeit…“

extrem rechten Website „Gegenstrom“

Kampfsport ist in dieser Inszenierung einer der wenigen Orte, in dem extrem rechte Männer ihre Vorstellung von Männlichkeit stärken und ausbauen sowie ihrem vermeintlich angeborenen „Kämpfertrieb“ nachkommen können. Die nicht nur sexistische, sondern auch rassistische Auslegung dieses Männlichkeitsbildes bekommen diese Ausführungen in der Konstruktion des Feindbildes, also eben jener Gruppen, gegen die es sich zu verteidigen gilt. Der „kriegerische Mann“ wird auf der Homepage der „Blauen Narzisse“ sogar zum „Verteidiger des Abendlandes“ gekürt:

„Umso problematischer wird die Situation, wenn solcherart konditionierte Männer auf Millionen von Einwanderern treffen, deren Kultur mehr oder minder genau gegenteilig ausgerichtet ist. Die Zurückweisung der Verteufelung von Kriegertum und wehrhafter Gesinnung ist also mehr als die Verteidigung eines ‚Hobbys‘, sondern notwendig zur Auferstehung des Abendlandes“

„neurechte“ Schüler*innenzeitung „Blaue Narzisse“

Und inhaltlich kaum davon zu unterscheiden sind die Formulierungen der Neonazi-Gruppe „Gegenstrom“:

„Fast täglich muss die autochthone Bevölkerung zuschauen, wie Volksangehörige durch kulturfremde Migranten drangsaliert werden, was sich aufgrund weiteren ungebremsten Zuzuges sog. Flüchtlinge verstärken dürfte. Die Forderung nach Schutz und Wehrhaftigkeit kommt immer besonders dann zum Tragen, wenn Notstände grassieren“

extrem rechten Website „Gegenstrom“

Diese konstruierte Verteidigungs-Ideologie ist eben jene Argumentation, die in den letzten Jahren immer auch von Rechtsterrorist*innen als Rechtfertigung für ihre Taten angeführt wurde. So heißt es beispielsweise im Manifest, das dem Christchurch-Attentäter zugeschrieben wird, er habe den Anschlag ausgeführt, um „die Einwanderungszahlen nach Europa zu reduzieren, durch Einschüchtern und körperliche Beseitigung der Invasoren selbst“ . Terror wird als Verteidigung ausgelegt. Der Terrorismusforscher Peter Waldmann spricht hier vom vigilantistischen Terrorismus. Damit ist eine Spielart des Terrorismus gemeint, die sich gegen gesellschaftliche Minderheiten richtet und nicht in erster Linie gegen den Staat. Die Attentäter geben vor, den Status quo schützen zu wollen. Damit richtet sich ihre Aggression gegen Gruppen, die sie für eine akute Gefahr für das Gemeinwesen halten.[1] Sie konstruieren damit den Verteidigungsfall als Begründung. Neben den ideologischen Begründungszusammenhängen hat das Kampfsporttraining für die Szene auch ganz pragmatische Gründe. Auf den einschlägigen Seiten geht man klar davon aus, dass trainierte Kampfsportler auch für den zu erwartenden Straßenkampf besser vorbereitet sind. Dies nicht nur bei Angriffen auf politische Gegner*innen und tatsächliche oder vermeintliche Migrant*innen, sondern auch in der Auseinandersetzung mit der Polizei. Schon bei den AfD-Demonstrationen 2018 in Chemnitz waren zahlreiche Neonazi-Kampfsportler anwesend, unter anderem auch Pierre Bauer aus Braunschweig. Nach Bauer wurde in Thüringen schon 2016 fahndet, weil ihm ein Angriff auf einen Polizeibeamten bei einer Neonazi-Demonstration am 1. Mai vorgeworfen wurde.

Und nicht zuletzt ist Kampfport zu einem Aktionsfeld der Szene geworden, wo sie Netzwerk-Arbeit leistet und Nachwuchs gewinnen will. Gerade die Großevents sind dabei – ähnlich wie RechtsRock-Konzerte – riesige Netzwerkveranstaltungen, bei denen die Szene auch ihre internationalen Verbindungen pflegt. Und wie im Bereich RechtsRock ziehen die Kampfsportveranstaltungen der extremen Rechten auch Menschen an, die zum Teil noch nicht fest in der Szene verankert sind. Dabei ist besonders die Hooliganszene im Fokus. Für Thüringen lässt sich diese enge Vernetzung zwischen Fußballhooligans und Neonazis bereits konstatieren. In den letzten Monaten sind immer mehr Neonazis, die auch im Kampfsportbereich aktiv sind, bei Spielen von Rot-Weiß-Erfurt in Erscheinung getreten und pflegen enge Kontakte zum Hooliganspektrum rund um die Gruppe „Jungsturm“.

Ein wohl kalkulierter Nebeneffekt der neugegründeten Kleidungsmarken und aus der Taufe gehobenen Großevents ist für die Szene sicher auch der finanzielle Umsatz, der so generiert werden kann. Dies ist eine Entwicklung, wie wir sie schon aus vorangegangenen Jahren von der RechtsRock-Szene kennen.

Kampfsport-Gruppen in Thüringen

In Thüringen haben sich in den letzten Monaten mehrere Kampfsportgruppen innerhalb der extrem rechten Szene gegründet oder es agieren bereits bestehende Vereine ganz offen mit ihrer Verbindung zur Szene.

Anfang 2019 trat die Gruppe „Knockout51“ zunächst in der digitalen Öffentlichkeit erstmals auf. Die Gruppe besteht aus Neonazis aus Eisenach und Umgebung. In ihrem Gründungslogo verwies die Gruppierung ausdrücklich auf ihre Verbindungen zur niedersächsischen Gruppe Adrenalin Braunschweig rund um die Neonazis Lasse Richei und Pierre Bauer. Von letzterem war oben bereits die Rede. Bilder in den sozialen Netzwerken zeigen auch, dass „Knockout51“ für ihre Trainings teils auf die NPD-Landesgeschäftsstelle in Eisenach zurückgreift. Gerade die Neonazi-Szene in Eisenach gilt als besonders militant. Mehrere ihrer Aktivisten waren in den vergangenen Monaten auch im Umfeld rechter Hooligan-Strukturen beim RWE zu sehen oder nahmen mit Hooligans gemeinsam an Kampfsporttrainings teil – so unter anderem Ende des Jahres 2018 beim „Imperium Fightteam“ in Leipzig. Neben den engen Verbindungen nach Braunschweig verweisen die Gruppierungen außerdem auf Saalfeld als weitere Stadt, zu deren Szene sie enge Verbindungen pflegen.

Neben dem freien Kameradschaftsspektrum ist es in Thüringen vor allem die Neonazi-Kleinstpartei Der Dritte Weg, die eigene Strukturen für Kampfsporttrainings geschaffen hat. In Erfurt bewerben die Neonazis ganz offensiv die Möglichkeit, in ihrer Immobilie auf dem Herrenberg an derartigen Trainings teilzunehmen. Eigens für solche Aktivitäten wurde innerhalb der Partei im Sommer 2018 die Arbeitsgruppe „Körper & Geist“ geschaffen. Im Selbstverständnis der AG heißt es:

„Wir sind bewusst keine einfache Sportgemeinschaft oder Freundeskreis, sondern Teil einer Bewegung zur völkischen Wiedergeburt unserer Nation“

AG „Körper & Geist“ der Neonazi-Kleinstpartei Der Dritte Weg

Bisher hat die Partei nicht nur interne Veranstaltungen für ihre Erfurter Aktivisten durchgeführt, sondern mit dem RechtsRock- und Kampfsport-OpenAir „Jugend im Sturm“ im vergangenen Jahr in Kirchheim auch eine öffentliche Veranstaltung im Freistaat organisiert. Sowohl Ende April als auch Ende Mai führte die Neonazi-Partei dann zwei öffentliche Veranstaltungen in Erfurt durch, bei dem auch Kampfsportvorführungen gezeigt wurden. Diese richteten sich auch gezielt an Familien und Kinder. Zu den Aktivist*innen der Partei gehört auch ein ehemaliger offizieller Boxtrainer, der in die Aktivitäten fest eingebunden ist.

In Schmölln im Altenburger Land existiert schon seit 2013 der extrem rechte Kampfsport-Verein „Barbaria Sportgemeinschaft e.V.“ um den Kampfsportler Martin Langner. Der Verein bietet Trainings im Bereich Kickboxen und Mixed Martial Arts an und richtet seine Angebote explizit auch an Kinder. Für die Trainings kann der Verein in Schmölln auf eigene Räumlichkeiten mit Boxring und verschiedenen Fitnessgeräten zugreifen. Im Logo des Vereins ist eine Elhaz-Rune, die in der NS-Ideologie als „Lebensrune“ bezeichnet wird, abgebildet. Dieses Symbol taucht häufig im Kontext extrem rechter Organisationen und Strukturen auf. Auf Shirts wirbt der Verein mit Botschaften wie „Widerstand für Volk und Land“ und offenbart die eindeutig völkisch-nationalistische Gesinnung.

Aktive aus dem Umfeld des Vereins bzw. Sportler*innen des Vereins nahmen wiederholt an den extrem rechten Kampfsportturnieren „Kampf der Nibelungen“ und „Tiwaz“ teil. Immer wieder tauchen Personen aus dem Umfeld des Vereins auch bei extrem rechten Aufmärschen und Konzerten auf und zeigen die enge Anbindung von „Barbaria Schmölln“ an die extrem rechte Szene. An mindestens einem Training des Vereins nahm auch der Thüringer Neonazi Sebastian Dahl aus Kahla teil, der ebenfalls als Kämpfer bei extrem rechten Kampfsportturnieren antrat.

Trotz dieser offenkundigen Vernetzungen des Vereins und die wiederholte Teilnahme an den großen neonazistischen Kampfsportturnieren, kommt der Thüringer Verfassungsschutz zu folgender Einschätzung: „Der Verein wird nach Einschätzung des Amts für Verfassungsschutz nicht von Rechtsextremisten dominiert…“ (Plenarprotokoll des Thüringer Landtages, 6/110 vom 22.02.2018).

Fazit: Die Entwicklung ernst nehmen

Die aufgeführten Beispiele sind nur einige der Entwicklungsschwerpunkte in Thüringen. Wenn der Thüringer Verfassungsschutz die Bedeutung des Kampfsports für die extrem rechte Szene nicht erkennen will – und damit auch nicht die Gefahren, die davon ausgehen – ist es fragwürdig, wie aus sicherheitspolitischer Sicht gegen eine solche Struktur vorgegangen werden soll. Zu allererst muss anerkannt werden, dass auch in Thüringen eine starke Vernetzung von trainierten Neonazis stattgefunden hat und weiterhin stattfindet. Außerdem sollte die enorme Gefährdung dieser Strukturen ernst genommen werden. Es muss sich vor Augen geführt werden, was es bedeutet, wenn extrem Rechte, ihre menschenverachtende Ideologie in Form von Gewalt in die Öffentlichkeit tragen.


[1] Vgl. Quent, Matthias: Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus, 2016, S. 133ff.