Rechtsextremismus RechtsRock Mobile Beratung in Thüringen

Extrem rechte Musikveranstaltungen in Thüringen 2022 – Zahlen steigen deutlich

DIagramm Entwicklung der RechtsRock-Zahlen in Thüringen

Im Jahr 2022 gab in Thüringen wieder deutlich mehr RechtsRock-Konzerte. Insgesamt zählte die Mobile Beratung 31 Veranstaltungen. Der größte Teil waren sogenannte Liederabende. Auch die Pandemie-Leugner*innen-Szene nutzte einschlägige Musik für ihre Veranstaltungen.

Unser ausführliches Radiointerview findet ihr bei Radio FREI.

Der Einschnitt durch die Corona-Pandemie scheint sich damit langsam aufzulösen. 2020 und 2021 zählte MOBIT noch 20 bzw. 14 Konzerte. Die steigenden Zahlen gehen auch mit einer veränderten RechtsRock-Szene in Thüringen einher. Ein Trend, der deutlich erhalten bleibt, ist die Hinwendung zu Liederabenden und die Abkehr von größeren Konzerten oder sogar Open-Airs.

Der überwiegende Teil der von MOBIT gezählten Konzerte, Liederabende und sonstigen Musikerereignisse [1] erfolgte erst in der zweiten Jahreshälfte. Dort fand im Schnitt eine extrem rechte Musikveranstaltung pro Woche statt. Dies ähnelt den Verhältnissen aus dem Zeitraum vor der Corona-Pandemie. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie hatten auch den RechtsRock-Organisatoren kaum Möglichkeiten gegeben, Veranstaltungen durchzuführen. Der Wegfall der meisten Maßnahmen führte 2022 auch zu einer neuen Dynamik im Bereich RechtsRock.

Format der Liederabende seit Jahren am beliebtesten

Für 2022 wurden lediglich vier Konzerte in Erfurt, Gera, dem Wartburgkreis und Weimarer Land dokumentiert, deren Genre sich im Bereich von Rock und extrem rechtem Metal bewegte. Darüber hinaus verhinderte ein Eingreifen der Behörden ein Konzert im Juli in Sonneberg.[2] Im Dezember löste die Polizei ein weiteres Konzert in Schmölln [3] mit Verknüpfung zur lokalen extrem rechten Kampfsportszene auf.

Den Hauptteil des extrem rechten Musikaufkommens in Thüringen bilden seit neun Jahren in Folge Liederabende mit einem Anteil von nahezu 75% aller Veranstaltungen.
Protagonisten mitunter altbekannter Bands nutzen Unplugged-Konzerte zur Vermittlung menschenverachtender rechter Ideologie. Sie dienen u.a. auch zur Akquise von finanziellen Mitteln zur Unterstützung bei Gerichtsprozessen gegen Szeneangehörige oder fließen in die Finanzierung szeneeigener Immobilien.[4]

Liederabende dürften in den vergangenen Jahren vor allem wegen ihres geringen Organisationsaufwandes an Bedeutung gewonnen haben. Sie lassen sich unauffälliger organisieren und sind im Falle einer Auflösung mit weniger Schaden für die Organisatoren verbunden. Gleichzeitig finden bei Liederabenden trotzdem eine Ideologie-Vermittlung und die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der Szene statt.

RechtsRock als Teil von Tagungen und Gedenkveranstaltungen – Sonstige Musikveranstaltungen

Erstmals seit den Einschränkungen der Corona-Pandemie fanden 2022 wieder Tagungen oder Jahrestreffen von neonazistischen Gruppen oder Parteien in Thüringen statt. Hier zeigte sich deutlich, dass Thüringen für bundesweite Treffen der extremen Rechten weiterhin attraktiv bleibt. Häufig bilden Konzerte das Abendprogramm der Veranstaltungen neben Musikbeiträgen von Szene-Liedermacher*innen, die das Tagesprogramm begleiten. MOBIT dokumentierte diese musikalischen Darbietungen als „sonstige Musikereignisse“ im Rahmen von Vortragsabenden, Parteitagen oder geschichtsrevisionistischen Gedenkveranstaltungen. 2022 wurden in dieser Kategorie fünf Musikveranstaltungen erfasst. Darunter beispielsweise Auftritte der Liedermacherinnen „Wut aus Liebe“ nach einem NPD-Vernetzungstreffen in September in Eisenach oder „Eine deutsche Frau“ nach einem „Reichsbürger“-Kongress im Oktober in Pfiffelbach.

Musikalische Großveranstaltungen blieben 2022 aus

Musikalische Großveranstaltungen, die die meiste mediale Aufmerksamkeit der vergangenen Jahre auf das Thema RechtsRock lenkten, fanden seit 2019 in Thüringen nicht mehr statt. Waren 2017 noch 6.000 Neonazis aus ganz Europa nach Themar gereist [5], so entwickelten sich Großveranstaltungen in den Folgejahren sowohl für Veranstalter als auch Besucher*innen als zunehmende Misserfolge. Zivilgesellschaftlicher Widerspruch und restriktives behördliches Auftreten dürften zwei der Aspekte sein, die dazu beitrugen, die Attraktivität der Veranstaltungsformate in großem Rahmen für die Szene erheblich zu verringern. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verunmöglichten in den zurückliegenden Jahren die Organisation derartiger Großveranstaltungen, was auch von Führungsfiguren so kommuniziert wurde.

Ein weiterer herber Schlag für die RechtsRock-Szene dürfte die Inhaftierung der Neonazi-Bruderschaft „Turonen“ gewesen sein.[6] Sie gehörten in den letzten Jahren zu den zentralen Akteuren der Szene in Thüringen und waren an der Organisation von Großveranstaltungen und zahlreicher weiterer Konzerte personell beteiligt. Neben den RechtsRock-Geschäften hatte die Gruppierung mutmaßlich auch in den Bereichen Drogenhandel und Prostitution ihr Geld verdient. Nach zwei Razzien, Untersuchungshaft für die führenden Köpfe und dem mittlerweile begonnen Strafprozess [7] dürften Personen dieser Gruppierung nun bis auf Weiteres für das extrem rechte Konzertgeschehen in Thüringen ausscheiden.

Veranstaltungsorte für eine übersichtliche Publikumsgröße – Konstanz und Wandel

Eine Vielzahl der Konzerte konnte in 2022 in bekannten Szene-Immobilien beobachtet werden.  Anknüpfend an die Jahre zuvor fanden im vergangenen Jahr konstant Liederabende in der Geschäftsstelle des Thüringer NPD-Landesverbands in Eisenach statt. Die Immobilie, die auch regelmäßig für weitere öffentliche Angebote genutzt wird, ist die meistgenutzte Immobilie für RechtsRock-Konzerte in Thüringen. Zusammen mit dem Schulungszentrum und Sitz des geschichtsrevisionistischen Vereins „Gedächtnisstätte e.V.“ in Guthmannshausen im Landkreis Sömmerda ermöglichte der Zugriff zu beiden Immobilien ein Drittel aller Thüringer Musikveranstaltungen in 2022.

Neben der Nutzung eigener Immobilien wurden im vergangenen Jahr teils auch Privathäuser für Konzerte genutzt oder Veranstaltungsräume unter der Vortäuschung privater Feiern angemietet. So gab der extrem rechte Liedermacher Frank Rennicke ein Konzert auf dem Privatgelände eines Hauptorganisators des extrem rechten Protestgeschehens in Gera.  In Großbreitenbach im Ilmkreis konnte eine Veranstaltung mit der Liedermacherin „Eine deutsche Frau“ verhindert werden, die als Geburtstagsfeier getarnt war.

Rechte Musik auf der Straße

Die Allianzen des Protestgeschehens des rechtsoffenen Pandemieleugner*innen-Spektrums in Thüringen schlugen sich 2022 auch im Bereich der Musik nieder.
Als musikalische Begleitung von Demonstrationen wählten die Verantwortlichen für ihre mobilen Lautsprecheranlagen neben bekannten Radio-Popsongs ebenso Lieder extrem rechter Bands, Liedermacher und Musikprojekte, deren entsprechenden Aussagen verpackt in emotionalisierenden Melodien zur Atmosphäre der Aufzüge beitrugen. In den Telegram-Kanälen zahlreicher Gruppen wurde auch im Nachgang von Demonstrationen extrem rechte Musik verbreitet.

Neben Musikstücken der extrem rechten Szene als musikalische Begleitung vom Band für Demonstrationen bildeten 2022 ebenso Auftritte mit eindeutigem RechtsRock bei Veranstaltungen der rechtsoffenen Pandemie-Leugner*innen-Szene Anknüpfung an das Neonazi-Milieu. Der bekannteste extrem rechte Liedermacher Frank Rennicke trat im August bei einem sogenannten Sommerfest mitten in Gera auf. Ein Gesangsduo aus dem Saale-Orla-Kreis unterstrich im Sommer 2022 bei den wöchentlichen Kundgebungen in Zeulenroda die demokratieverachtenden Reden mit Volksliedern und Popsongs, aber auch mit einem eigens durch den Neonazi-Liedermacher Frank Rennicke komponierten Musikstück mit völkischem Text.

Rückzug in die Szene-Öffentlichkeit

Die in 2022 beobachtete Praxis extrem rechte Konzerte im kleineren Kreis durchzuführen, bedeutete für die Szene eine größere Chance von Polizei und Öffentlichkeit unentdeckt zu bleiben. Dabei hat sich vor allem gezeigt, dass durch die Pandemie-Leugner*innen-Bewegung, die „Reichsbürger“-Szene und vereinzelt die Neonazi-Szene neue Organisatoren in Erscheinung getreten sind, die Konzerte eher unangemeldet für das eigene Klientel, oft regional, organisieren.

Eine öffentliche Bewerbung in Sozialen Medien war weitgehend unnötig, wenn ohnehin nur die regionale Szene und ein übersichtlicher Kreis von Teilnehmenden angesprochen wird. Veranstaltungen wurden teilweise nur in internen Telegram-Kanälen beworben. Dies zeigt in einem Teil der Konzert-Szene eine gegenteilige Entwicklung zur Tendenz der letzten Jahre. Die thüringer Neonazi-Szene hatte sich über Jahre stark professionalisiert und meldete auch um befürchtete finanzielle Misserfolge zu vermeiden Konzerte an.

Dass die aktuelle Entwicklung andererseits auch mit behördlichen, repressiven Handeln zu tun hat, bestätigt beispielsweise die Liedermacherin „Eine deutsche Frau“, wenn sie im Interview nach einem verhinderten Auftritt bestätigt: „Das Gute an der Sache ist halt, dass wie immer, je mehr Druck sie ausüben auf uns, desto mehr erreichen Sie das Gegenteil von dem was sie möchten. (…) und der nächste Tanzabend wird sicherlich stattfinden, natürlich nicht angemeldet bei der Stadt, ist ja klar. Das bedeutet, das führt einfach nur dazu, dass wir uns einfach nur immer mehr in unsere Kreise zurückziehen, immer mehr unser Ding halt unter uns machen…[8]

Fazit

Wenig überraschend zeigte 2022 die Versuche der Szene, die Aktivitäten rund um die extrem rechte Musikszene in Thüringen auf ähnlichem Niveau wie in den Jahren vor der Corona-Pandemie wiederzubeleben. Langjährige stabile Netzwerke und neu eingegangene Kooperationen garantieren uneingeschränkte Zugriffe auf Immobilien. Das Interesse der Szene nach Musikveranstaltungen als Treffpunkt, als Orte der Selbstvergewisserung und Vernetzung sowie Markt für Tonträger und Textilien ist ungebrochen und ein fester Bestandteil extrem rechter Lebenswelt. Extrem rechte Musiker*innen sind in der Lage, ihr Angebot flexibel auf lokale Gegebenheiten einzustellen.  Nach wie vor existiert eine Vielzahl an Bands, Musikprojekten und Versandhandel für extrem rechte Musik und Merchandise in Thüringen. Das diffuse Klima auf Demonstrationen der Pandemie-Leugner*innen-Szene eröffnet zudem neue Zugänge für extrem rechte Musik und Inhalte.

Dies alles steht im Widerspruch zur Prognose des Thüringer Innenministers Georg Maier (SPD), der von einer Trendwende [9] spricht und das RechtsRock-Konzertgeschehen in Thüringen inzwischen als finanziell erfolglos einstuft.[10] Es besteht kein Anlass zur Entwarnung im RechtsRock-Land Thüringen.

Es braucht Sensibilität, Aufmerksamkeit und Haltung von Behörden, Journalist*innen und Zivilgesellschaft für die extreme Rechte, deren Zusammenspiel es ihr erschwert, ihre Treffpunkte, Akteur*innen und Veranstaltungen in der Öffentlichkeit zu etablieren und zu normalisieren. Ein Zusammenspiel von demokratischer Zivilgesellschaft, politisch und behördlich Zuständigen und der medialen Öffentlichkeit ist wirksam gegen digitale und analoge Versuche der Raumnahme der extremen Rechten – auch im Falle von rechter Musikveranstaltungen.


[1] Erläuterungen zu den Kategorien  https://mobit.org/Material/2022_MOBIT_RechtsRock-Hass%20und%20Kommerz.pdf (S.6)

[2] Extremismus: Polizei verhindert Rechtsrock-Konzert in Sonneberg | ZEIT ONLINE

[3] Schmölln: Polizei löst illegales Rechtsrock-Konzert auf | MDR.DE

[4] Nach Razzia gegen Rechtsextremisten in Eisenach: Benefiz-Konzert für Neonazis | MDR.DE

[5] 6000 Rechtsextremisten bei Konzert in Themar – Veranstaltungsgelände muss wegen Andrang erweitert werden | Land und Leute | Thüringer Allgemeine (thueringer-allgemeine.de)

[6] Neonazi-Drogenkartell: Aufstieg und Ende der „Bruderschaft Thüringen“ | MDR.DE

[7] Angeklagte im Turonen-Prozess bleiben in Untersuchungshaft | Recht & Justiz | Thüringer Allgemeine (thueringer-allgemeine.de)

[8] Youtube. Eine deutsche Frau. Liederabend verhindert! Eine deutsche Frau im Gespräch vom 04.12.2022, gesehen am 16.01.2023

[9] Weniger Rechtsrock-Konzerte in Thüringen: Innenminister Maier spricht von Trendwende | MDR.DE

[10] Extremismus: Maier: Geschäft mit Rechtsrock-Konzerten trägt nicht mehr | ZEIT ONLINE