Rechtsextremismus RechtsRock

Im Blick – Quartal 1/2023

Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Thüringen

Die ersten Monate des neuen Jahres setzen im Kern nahtlos in die Entwicklungen des Vorjahres fort. Zum Jahresanfang fanden bereits zahlreiche Aktivitäten des extrem rechten Musikspektrums statt. Der Blick auf das themenbewegliche Protestspektrum einer rechten Mischszene fokussiert die Rolle von lokalen Unternehmern innerhalb des Protestes sowie die selbsternannte Rolle der Thüringer AfD als „Friedenspartei“. Die „Reichsbürger“-Szene plant die Fortsetzung ihres „Zukunfts-Kongresses“. Hier geht es zum Interview mit Radio FREI.

RechtsRock: Zwischen „Reichsbürgern“, Neonazis und Protestbewegung

Anfang 2023 veröffentlichte MOBIT die RechtsRock-Zahlen für das vergangene Jahr. Erstmals war mit 31 Konzerten wieder ein deutlicher Anstieg seit Beginn der Corona-Pandemie zu verzeichnen. Diese Entwicklung scheint sich fortzusetzen. Bereits Im Januar fanden mehrere rechte Musikveranstaltungen statt. So veranstaltete die „Reichsbürger“-Gruppe „Wahlkommission Preußische Provinz Sachsen“ am 14. Januar einen Liederabend mit der Szene-Musikerin „Eine deutsche Frau“ im Eichsfeld.  Ende Januar fand das erste RechtsRock-Konzert in der NPD-Geschäftsstelle in Eisenach statt. Hinzu kamen mehrere angekündigte Liederabende in der sogenannten Gedächtnisstätte in Guthmannshausen im Landkreis Sömmerda. Wie schon im Vorjahr zeigte sich, dass extrem rechte Musiker*innen auch ihren Weg in die extrem rechte Protestbewegung gefunden haben. Der Neonazi Frank Rennicke trat beispielsweise beim politischen Aschermittwoch des Compact-Magazins, der Miteinanderstadt Gera und der Freien Sachsen in Ronneburg auf. Besonders erschreckend ist, dass die Veranstaltung in einer städtischen Halle stattfinden konnte.[1] Auch die Neonazi-Partei Der Dritte Weg wollte am 18. Februar einen Liederabend in der Parteiimmobilie in Ohrdruf durchführen. Die Veranstaltung wurde wegen Verstößen von der Polizei aufgelöst. Ebenso konnte die Polizei ein Neonazi-Konzert in Kahla verhindern, bei welchem Spenden für den inhaftierten NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben gesammelt werden sollten.

DIagramm Entwicklung der RechtsRock-Zahlen in Thüringen

Neben den Musikveranstaltungen selbst wurden in den vergangenen Monaten Musikvideos der Szene im Freistaat gedreht. Dies verweist darauf, dass die Thüringer Szene fest in bundesweite Strukturen eingebunden ist und der Freistaat als Aktionsfeld genutzt wird. Anfang 2023 veröffentlichte die neonazistische Hooligan-Band „Kategorie C“ ein neues Musikvideo zu ihrem Lied „So sind wir“. Gedreht wurde das Video in Wolkramshausen in Nordthüringen. Nur wenige Monate später reiste der Sänger der Band, Hannes Ostendorf, erneut zu Dreharbeiten nach Thüringen. Gemeinsam mit der extrem rechten Liedermacherin „Eine deutsche Frau“ drehte er unter anderem bei Sondershausen ein Video für ein gemeinsames Lied. Am Rande führte die extrem rechte Aktivistin Liane Steup, die sich öffentlich selbst „Lilly Thüringen“ nennt, mehrere Interviews mit den beiden rechten Musikern und bewarb das Projekt auf ihren Social-Media-Kanälen.

Andauernder Bedeutungsverlust der Neonazi-Szene

Die Thüringer Neonazi-Szene verlor in den vergangenen Jahren deutlich an Dynamik. Neben den Parteien NPD, Der III. Weg und der NSP gibt es nur noch wenige aktive Gruppen wie den „Treuebund“ in Sonneberg. Die NPD ist nur in einzelnen Regionen wahrzunehmen. Der Schwerpunkt der Partei ist – auch wegen ihrer Immobilie – Eisenach. Hier fanden im ersten Quartal nicht nur RechtsRock-Konzerte statt, sondern auch Faschingsveranstaltungen und andere an ein breites Publikum gerichtete Aktivitäten. Daneben ist es aktuell vor allem Patrick Weber, Landesschatzmeister der NPD-Thüringen, aus Sondershausen, der öffentlich in Erscheinung tritt. Weber mobilisiert seit einigen Monaten verstärkt zu sogenannten Montagsdemos in Sonderhausen, die unter verschiedenen Motti stattfinden – mal mit dem Slogan „Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung. Dem System die Zähne zeigen“ und mal „Nein zur Nato“. Der NPD-Funktionär versucht damit an die Protestbewegung anzuknüpfen, die sich in den vorangegangenen Monaten zwischen Pandemie-Leugnung und angeblicher Friedensforderungen entwickelt hat. Er tritt bei den Veranstaltungen auch als Redner in Erscheinung. Neben diesen regionalen Schwerpunkten gab es Ende Januar in den sozialen Medien die Bekanntmachung, dass sich die „Jungen Nationalisten“, die Jugendorganisation der NPD, im „Neuaufbau“ befände. Man wolle „nationale Freiräume für junge Nationalisten“ schaffen, hieß es in der Erklärung. Bisher waren neben lokalen Plakat-Aktionen, die faktisch außer in den eigenen Social-Media-Kanälen nicht öffentlich bekannt wurden, keine größeren Aktivitäten wahrzunehmen. Dies dürfte auch am geringen Personenpotential liegen, das sich im einstelligen Bereich bewegt. Zentral bei der Organisation sind vor allem junge Neonazis aus dem Raum Eisenach/Gotha, die zuvor bei der Neonazi-Partei Der III. Weg aktiv waren.

Neben den Aktivitäten im Freistaat selbst, reisten rund zwei Dutzend extrem Rechte im Februar zum geschichtsrevisionistischen „Trauermarsch“ nach Dresden. Darunter unter anderem Personen aus dem Umfeld des III. Weges ebenso wie Akteur*innen aus der „Reichsbürger“-Szene, von „Freies Thüringen“, dem Umfeld der NSP und der AfD Thüringen.

Unternehmer als Teil extrem rechter Aktivitäten in Thüringen

Die Schwäche der neonazistischen Szene darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in Thüringen ein weitgehend festes Spektrum von Menschen etabliert hat, dass sich nahezu themenunabhängig zu extrem rechten Aufmärschen auf die Straße mobilisieren lässt. Tonangebend hierbei sind mehrheitlich nicht neonazistische Gruppierungen, sondern Netzwerke, die im Kontext der Pandemie-Leugner*innen-Proteste entstanden sind. Immer wieder wird zudem die enge Vernetzung und Kooperation mit der Thüringer AfD deutlich, die versuchte die Proteste für sich politisch nutzbar zu machen.

Auffällig ist bei den Protesten vor allem, dass immer wieder lokale Unternehmer Teil der Organisationskreise sind.[2] Schon im Kontext der Pandemie-Leugner*innen-Proteste entstand beispielsweise das Netzwerk „Unternehmer mit Herz“, deren Leitungsperson nicht nur für das rechtsoffene Protestgeschehen mobilisiert, sondern auch Redebeiträge hält.

Durch die Beteiligung der Unternehmer steht zudem nötige Infrastruktur für Veranstaltungen der Bewegung zur Verfügung. So werden für Demonstrationen Firmenfahrzeuge als improvisierte Bühne oder mobile Plakatfläche genutzt. Vernetzungstreffen oder sogenannten Schulungen von „Reichsbürgern“ finden mitunter in den Immobilien lokaler Firmen statt.

Zudem ist davon auszugehen, dass diese Unternehmer die Proteste nicht nur organisatorisch und ideell, sondern auch finanziell unterstützen. Als beispielhaft kann hier die Spende des Weimarer Bauunternehmers Hartmut Issmer genannt werden, dessen Spende im Januar an die AfD in Höhe von 265.050 € zu den aktuell größten Einzelspenden in der gesamten Parteigeschichte zählt.[3]

Das alles sind Versuche, die Proteste der themenbeweglichen rechten Mischszene als Proteste aus der „gesellschaftlichen Mitte“ darzustellen. Das Engagement der Unternehmer führt teilweise zu einer veränderten Wahrnehmung des Protest-Geschehens und trägt zur Normalisierung rechter Positionen in der Gesellschaft bei. 

v.l.n.r.: Frank Haußner („Reichsbürger“ und Vertreter von „Freies Thüringen“), Peter Schmidt („Unternehmer mit Herz“), Christian Klar (Anmelder diverser extrem rechter Proteste u.a. in Gera) am 26.August 2022 auf der Bühne beim sogenannten Familienfest der „Miteinanderstadt Gera“. Bild: MOBIT

AfD im Dauerwahlkampf

Im Februar feierte die AfD ihr zehnjähriges Bestehen. In Thüringen etablierte sie sich in dieser Zeit als feste Größe der extremen Rechten.  Anlässlich des Jahrestages beschreibt die Thüringer AfD-Fraktion in einem Onlinebeitrag ihr „Erfolgsrezept“: Durch die permanente Präsenz mit Infoständen, „Bürgermobilen“ und „Bürgerdialogen“ versucht sich die Partei als „bürgernah“ und ansprechbar für konkrete Probleme zu stilisieren: „Mit uns gibt es keine Politik aus dem Elfenbeinturm, wir hören uns an, was die Bürger bedrückt.“ Fast wöchentlich ist die Partei Thüringenweit insbesondere im ländlichen Raum präsent und versucht eine regelrechte Omnipräsenz zu generieren.

Zu Beginn des Jahres versuchte die AfD den Ukraine-Krieg für sich thematisch nutzbar zu machen. Dabei bezeichnet sich die Partei „Friedenspartei“ und warb für einen „Brückenschlag über die Parteigrenzen hinweg“. Die mehrfach in Erfurt angemeldeten „Friedensspaziergänge“ blieben dennoch weitgehend erfolglos. Eine Mobilisierung jenseits des eigenen Milieus gelang kaum und die Teilnehmendenzahlen blieben mit wenigen Hunderten wohl deutlich hinter den eigenen Erwartungen zurück. Entsprechend erwartbar lässt sich aktuell beobachten, wie die Partei wieder verstärkt auf „bewährte“ Themen setzt. In aktuellen Statements agitiert die Thüringer AfD vor allem gegen Migration, fordert Grenzschließungen und verbreitet Panik vor einer angeblichen „Asylwelle“.

Reichsbürger-Szene

Die Razzien gegen die sogenannte Wahlkommission Reuß im Dezember 2022 führten auch in Thüringen zu einem kurzfristigen Rückgang der wahrnehmbaren Aktivitäten der Szene. Dieser Einschnitt war aber nicht von langer Dauer. Bereits im Januar gab es das erwähnte Konzert mit „Einer deutschen Frau“ in der Nähe von Heiligenstadt. Am 1. März referierte der Verschwörungsideologe Hans-Joachim Müller in Leinefelde. Neben diesen Veranstaltungen gab es beispielsweise in der Nähe von Eisenach mehrere Protestaktionen der Szene entlang der Bundestraße 7. Seit März kursiert in den Szene-Medien außerdem eine Ankündigung für einen geplanten Kongress Anfang Juni 2023. Dieser soll als neue Auflage des „Zukunfts-Kongresses“ durchgeführt werden, welcher im Oktober 2022 in Pfiffelbach stattfand. Zur Veranstaltung reisten zwischen 2-300 Reichsbewegte aus der gesamten Bundesrepublik nach Thüringen. Aktuell wird der Kongress für den „Großraum Göttingen“ beworben. Aufgrund der herausgehobenen Bedeutung des Eichsfelds für die Strukturen der sogenannten Wahlkommissionen, ist auch Thüringen als Veranstaltungsort denkbar.


[1] Vgl. ausführlicher: https://taz.de/Halle-fuer-Aschermittwoch-ueberlassen/!5917978/

[2] Eine Analyse des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig zeigt extrem rechte Raumnahme durch zivilgesellschaftliches und unternehmerisches Engagement in Sachsen. Siehe dazu hier: https://efbi.de/files/efbi/pdfs/2023_EFBI_Policy%20Paper_Druckversion.pdf

[3] https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/parteienfinanzierung/fundstellen50000/2023