Das Jahr 2024 war vor allem durch die Kommunal-, Europa und Landtagswahlen geprägt. Diese wurde gerahmt von zahlreichen Aktivitäten der extremen Rechten und Aktionen der demokratischen Thüringer Zivilgesellschaft. Bei allen Wahlen konnte die AfD ihr Ergebnis deutlich ausbauen.
Bereits 2023 fanden mit der Landratswahl in Sonneberg und der Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen zwei kommunale Wahlen statt, die nicht nur für die extreme Rechte, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ihre Schatten auf 2024 vorrauswarfen. Ab Herbst 2023 liefen dann spätestens auch die Vorbereitung der Zivilgesellschaft für das Wahljahr 2024. Bereits im Januar begann das Wahljahr mit der Landratswahl im Saale-Orla-Kreis. Am 14. Januar fand nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche der erste Wahlgang im Saale-Orla-Kreis statt. Um nach dem Erfolg in Sonneberg die Wahl eines weiteren AfD Landrats zu verhindern, hatte sich Ende 2023 das lokale Bündnis „Dorfliebe für alle“ gegründet. Im ersten Durchgang erreichte der AfD-Kandidat Uwe Thrum mit Abstand die meisten Stimmen und es kam zu einer Stichwahl mit dem CDU-Kandidaten Christian Herrgott. Trotz ähnlicher Konstellationen wie in Sonneberg, konnte Herrgott sich in der Stichwahl mit rund 5%-Punkten Vorsprung gegen Thrum durchsetzen. Dies dürfte nicht zuletzt auch mit der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung zu erklären sein.
Wahlen Runde 1: Europa, Landräte und Kommunal
Die öffentliche Berichterstattung nach den Kommunal- und Europawahlen polarisierte deutlich. Ein Teil der Artikel beschrieb die „Blaue Welle“ als gebrochen, ein anderer Teil proklamierte den weiteren Rechtsruck und das Erstarken der AfD. Grund für diese unterschiedlichen Einschätzungen waren zumeist die unterschiedlichen vergleichenden Bezugspunkte der Autor*innen. Diejenigen, die in den Ergebnissen eine Wahlniederlage für die AfD sahen, bezogen sich meist auf die Umfragen der letzten Monate, die im Schnitt höher waren, als die tatsächlich erzielten Wahlergebnisse der AfD. Besonders bei der Europawahl lag die AfD bundesweit in Umfragen teils bei 24% und erhielt am Ende „lediglich“ 15,9%. Verglichen mit den Ergebnissen der Europawahl 2019 war dies dennoch ein Zugewinn von 4,9%. In den ostdeutschen Bundesländern sah das Ergebnis ohnehin anders aus. So erzielte die AfD bei den Europawahlen 30,7% und war damit stärkste Kraft. Hier war ein Zugewinn von 8,2% Prozent zu verzeichnen. Bei den Kommunalwahlen konnte die AfD im Landesschnitt bei den Kreistags- und Stadtratswahlen 25,8% der Stimmen erringen und lag damit hinter der CDU auf dem zweiten Platz. Mit Ausnahme des Unstrut-Hainich Kreises zogen die Kandidat*innen der AfD bei allen Landratswahlen, bei denen die AfD antrat, in die Stichwahlen ein. Im zweiten Wahlgang konnte die AfD allerdings keinen weiteren Landratsposten für sich gewinnen. Vergleicht man die Stichwahlergebnisse mit den drei vorangegangenen Wahlen um die Landrats- bzw. Oberbürgermeisterwahlen in Sonneberg, Nordhausen und dem Saale-Orla-Kreis, schnitten am 9. Juni alle Kandidat*innen deutlich schlechter ab, als noch die Monate zuvor. Dies ist nicht als Argument zu lesen, dass die „Blaue Welle“ gestoppt wurde, aber es ist ein Anhaltspunkt, ob die Berichterstattung über die Deportationspläne der extremen Rechten und auch die darauf folgenden Massenproteste gegen die AfD einen Einfluss auf die Wahlergebnisse hatten. Dies scheint – mit aller Vorsicht – der Fall zu sein. Insgesamt bleibt dennoch festzuhalten, dass die AfD bei allen Wahlen im Mai und Juni 2024 ihre Ergebnisse verbessern konnte, jedoch die Ereignisse der letzten Monate offensichtlich dazu führten, dass die Zugewinne nicht noch höher ausfielen. Die ausgebaute Präsenz der AfD auf kommunaler Ebene birgt vor allem die Gefahr einer weiteren Normalisierung.
Die Landtagswahl: Der Siegeszug der AfD und die Destabilisierung der parlamentarischen Demokratie
Im dritten Quartal 2024 stand die Landtagswahl im Fokus der politischen Aktivitäten der extremen Rechten und des Engagements der demokratischen Zivilgesellschaft. Am 1. September fand in Thüringen die Landtagswahl statt. Schon die Umfragen vor der Wahl ließen einen Zugewinn für die AfD erwarten. Zwei wichtige Fragen waren unter anderem, ob die AfD mit ihrem Ergebnis auch die parlamentarische Sperrminorität erreichen und ob im Freistaat überhaupt eine Regierungsbildung möglich sein würde. Mit 32,8 % der abgegebenen Stimmen wurde die AfD stärkste Kraft in Thüringen. Die extrem rechte Partei steigerte ihr Ergebnis im Vergleich zur Landtagswahl in 2019 deutlich um 9,4%-Punkte.
Dabei konnte die Partei wie keine andere von der gestiegenen Wahlbeteiligung profitieren. Diese hatte sich von 2019 mit 64,9% auf 73,6% deutlich erhöht. Laut der Analysen von Infratest dimap entschieden sich rund 71.000 ehemalige Nichtwähler*innen bei der Landtagswahl nun für die AfD. Neben dem hohen Zugewinn der AfD insgesamt ist besonders das Ergebnis in der Gruppe der Wähler*innen im Alter von 18 bis 24 besorgniserregend. In dieser Alterskohorte gaben insgesamt rund 38% ihre Stimme der extrem rechten Partei. Mit ihrem Ergebnis verfügt die AfD in Thüringen nun auch über die Sperrminorität und ist in der Position auf verschiedenen Ebenen Entscheidungen blockieren zu können oder/und die eigene Präsenz in Gremien deutlich auszubauen. So kann beispielsweise ohne Zustimmung der AfD weder der Landtag aufgelöst, Richter*innen im Richterwahlausschuss gewählt, noch die parlamentarische Kontrollkommission besetzt werden. Letztere dient eigentlich der Kontrolle des Verfassungsschutzes, der wiederum die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft.
Das Ende des Jahres war vor allem durch die große Unsicherheit geprägt, ob in Thüringen überhaupt eine Regierung durch die demokratischen Parteien gebildet werden könnte. Die schwierigen Verhandlungen zwischen CDU, SPD und BSW dürften zur weiteren Verunsicherung der Wähler*innen in Thüringen führen und könnten eine weitere Abkehr von den demokratischen Parteien bestärken.
Reichsbürger und andere Spektren
Die Szene der „Reichsbürger“ war 2024 sehr aktiv in Thüringen. Neben zahlreichen Vorträgen und Kongressen fand auch die größte bundesweite Szene-Demonstration mit rund 1.000 Menschen in Gera statt. Daneben waren die lokalen Gruppen weiter fester Bestandteil des themenflexiblen Protestspektrums und in Teilen Bündnispartner der AfD. Insbesondere der langjährige Aktivist Frank Haußner aus Zeulenroda, eine der Führungsfiguren von „Freies Thüringen“, bildet eine zentrale Schnittstelle zwischen „Reichsbürger“-Milieu und AfD. Zudem ist Thüringen weiterhin der wichtigste Veranstaltungsort für bundesweite „Reichsbürger“-Netzwerke. Regelmäßig finden in zahlreichen Regionen Vorträge unterschiedlicher „Reichsbürger“-Gruppen statt. Die größten beiden Veranstaltungen waren zum einen das „Große Treffen der Bundesstaaten 25 + 1“ am 6. April in Gera. Rund 1.000 Anhänger der Szene kamen hier zusammen. Insgesamt wurde das Veranstaltungsformat bereits vier Mal durchgeführt, in Thüringen allerdings mit dem größten Zulauf. Daneben fand mit dem „Staatsvolktreffen“ am 16. November ein weiteres bundesweites Treffen statt. Aufgrund der Intervention der Behörden stand den Veranstaltern kein Raum zur Verfügung und so wandelten sie die als Tagung geplante Veranstaltung in eine Demonstration in Leinefelde um, bei der auch einige der vorgesehenen Redner sprachen. Insgesamt waren trotz des Ausfalls der eigentlichen Veranstaltung dennoch zwischen 200 und 300 Menschen angereist. Diese beiden Großereignisse zeigen neben zahlreichen kleineren Veranstaltungen und der Vernetzung der mutmaßlichen Terrorgruppe um Prinz Reuß, dass Thüringen von zentraler Bedeutung für die bundesweite Szene ist. „Reichsbürger“ sind im Kontext des stattfindenden Rechtsrucks ein wichtiger Faktor sowohl in der Mobilisierung auf der Straße als auch bei der grundsätzlichen Delegitimierung des demokratischen Systems. Sie verstärken nicht nur die Verbreitung von Verschwörungserzählungen, sondern arbeiten dadurch auch aktiv an der Abkehr zahlreicher Menschen vom demokratischen Diskurs.
Neonazi-Szene: Verfahren, Immobilien und RechtsRock
Die Bedeutung der Neonazi-Szene als politischer Faktor ist seit dem Auftauchen der AfD immer weiter zurückgegangen. Als subkulturelles Phänomen und Struktur insgesamt ist ihr Beitrag für das Erstarken der extremen Rechten aber nicht zu unterschätzen. Besonders in Regionen in denen einzelne Aktivisten seit vielen Jahren aktiv sind und/oder die Szene über eigene Immobilien verfügt, ist der Einfluss der „klassischen“ extremen Rechten besonders hoch. Dies erklärt auch die zahlreichen Stimmen, die der Neonazi Tommy Frenck bei der Wahl zum Landrat in Hildburghausen erlangte: mit 24% erreichte er nicht nur die Stichwahl, sondern konnte dort sein Ergebnis sogar auf 30% steigern.
Vor allem der Prozess gegen die Hauptangeklagten im „Knockout51“-Prozess hatte für die Thüringer Neonazi-Szene deutliche Auswirkungen. Vor dem Oberlandesgericht in Jena standen mit Leon R., Bastian A., Maximilian A. und Eric K. die vier Haupttäter vor Gericht (Eine ausführliche Dokumentation des Prozesses findet sich hier: https://prozessdoku-thueringen.de). Ihre rund 2-jährige Inhaftierung ließ die Aktivitäten der Neonazi-Szene in Eisenach deutlich einbrechen. Im Zuge der Ermittlungen gab es Ende 2023 weitere Verhaftungen gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Gruppe. Darunter auch der Heimat-Funktionär Patrick David Wieschke. Im September 2024 gab die Bundesanwaltschaft dann die Anklage-Erhebung gegen Patrick David Wieschke, Kevin N. und Marvin W. bekannt. Das Verfahren soll erneut am OLG in Jena stattfinden. Seitens der Neonazi-Szene wurden Wieschke seine Kooperation und sein Aussageverhalten vorgeworfen. Er gilt damit in weiten Teilen der Szene als Verräter. Eine der offensichtlichen Folgen war auch nach seiner Haftentlassung, dass bisher keine weiteren öffentlich bekanntgewordenen RechtsRock-Konzerte mehr in der Eisenacher Heimat-Landesgeschäftsstelle stattgefunden haben. Das Wegbrechen einer der wichtigsten Szene-Immobilien als Veranstaltungsort hatte auch einen deutlich wahrnehmbaren Abwärtstrend der Aktivitäten im Bereich RechtsRock zur Folge.
Gleichzeitig verließ der Neonazi Tommy Frenck den von ihm gepachteten Gasthof „Goldener Löwe“ in Kloster Veßra (Landkreis Hildburghausen) und bezog nur wenige Kilometer entfernt in Brattendorf eine neue Immobilie. Mit der Eröffnung des „Eisernen Löwen“ im September steht nun eine neue Szene-Gaststätte zur Verfügung, die sich mit Neonazi-Kitsch vor allem wieder an die eigene Szene richtet. Frenck kündigte im Zuge der Neueröffnung gleich mehrere RechtsRock-Konzerte bis Jahresende an. Auch in Ohrdruf (Landkreis Gotha) verlor die Neonazi-Szene eine Immobilie. Die Kleinstpartei Der Dritte Weg musste vor wenigen Wochen hier ihr Parteibüro räumen.
Eine Neuformierung im Bereich jugendlicher Neonazismus zeigte sich spätestens beim Wahlkampf-Abschluss der AfD am 31. August auf dem Domplatz in Erfurt. An der Versammlung nahm eine größere Gruppe teils sehr junger Neonazis teil, die bisher in verschiedenen Organisationen aktiv waren. Nach dem Zerfall der Neue Stärke Partei (NSP) und in Folge des Gerichtsverfahrens gegen die Neonazis der extrem rechten Kampfsportgruppe „Knockout 51“ scheinen sich im jugendlichen und militanten Neonazismus neue Netzwerke herauszubilden. Bereits in der Vergangenheit waren unter anderem in Erfurt junge Neonazis aufgefallen, die Aktionen der demokratischen Zivilgesellschaft störten und angriffen. Zudem tauchten thüringenweit wieder vermehrt Graffiti mir rechten Botschaften auf. Diese neuen Netzwerke zeigten sich auch beim Wahlkampfabschluss der AfD in Erfurt. Hier traten als wahrnehmbare Gruppe nicht nur Personen aus den ehemaligen Strukturen der NSP, einzelne Mitglieder von „Knockout 51“, sondern auch aus dem Umfeld der Neonazi-Partei Der Dritte Weg und der Fanszene des Rot-Weiß-Erfurt auf. Daneben waren auch Akteure aus dem völkischen Spektrum vor Ort und Aktivisten der Identitären Bewegung. Eine ähnliche Personen-Konstellation war dann auch bei einer neonazistischen Demonstration am 14. September gegen den CSD in Eisenach zu beobachten. Hier kam erneut eine Mischung verschiedener Neonazis aus thüringenweiten Netzwerken zusammen, die vor allem auch als Ordner die sonst mobilisierungsschwache Veranstaltung absicherten.
Fazit
Im Jahr 2024 hat sich in Thüringen auf parlamentarischer Ebene eine weitere Verschiebung nach rechts manifestiert. Die AfD konnte bei nahezu allen Wahlen ihre bisherigen Ergebnisse ausbauen. Diese Erfolge führen zu einem noch stärkeren Einfluss und Ausbau der Präsenz der Partei im Freistaat. Bereits wenige Tage nach der Wahl hat die Partei ihre Dauerbeschallung durch Infostände und Veranstaltungen in ganz Thüringen wieder aufgenommen. In den kommunalen Gremien und im Landtag ist es kaum noch möglich die löchrige Brandmauer aufrecht zu erhalten. Viel mehr zeichnet sich immer deutlicher ab, dass demokratische Parteien gewillt sind mit der AfD zusammenzuarbeiten, wie etwa die Verhandlungen zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag deutlich machten.
Der Erfolg der extremen Rechten war in den zurückliegenden Monaten vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu beobachten. Nicht zuletzt dokumentiert durch das Landtagswahlergebnis in Thüringen. Hinzu kommt, dass bei Demonstrationen auch die Rückkehr des Stils der neonazistischen Skindhead-Szene zu beobachten war. Besonders die sozialen Netzwerke wie TikTok zeigen außerdem einen beängstigenden Trend, was die Verbreitung von extrem rechten und vor allem neonazistischen Inhalten und Symbolik angeht.
Die Erfolge der AfD führen auch zu einer Stärkung ihres Umfeldes und zeigen, wie beispielsweise bei der „Reichsbürger“-Szene eine ständig wachsende Aktivität. Das Bundesland ist damit eines der zentralen Knotenpunkte für die bundesweite Szene.
Die Krisen und Kriege der letzten Jahre in Kombination mit der teils instabilen Regierungskonstellationen sowohl auf Landes- wie auch Bundesebene bereiten für den Aufstieg extrem rechter Akteure verschiedener Couleur einen fruchtbaren Nährboden.
Das Jahr 2024 war vor allem durch die Kommunal-, Europa und Landtagswahlen geprägt. Diese wurde gerahmt von zahlreichen Aktivitäten der extremen Rechten und Aktionen der demokratischen Thüringer Zivilgesellschaft. Bei allen Wahlen konnte die AfD ihr Ergebnis deutlich ausbauen.
Bereits 2023 fanden mit der Landratswahl in Sonneberg und der Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen zwei kommunale Wahlen statt, die nicht nur für die extreme Rechte, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ihre Schatten auf 2024 vorrauswarfen. Ab Herbst 2023 liefen dann spätestens auch die Vorbereitung der Zivilgesellschaft für das Wahljahr 2024. Bereits im Januar begann das Wahljahr mit der Landratswahl im Saale-Orla-Kreis. Am 14. Januar fand nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche der erste Wahlgang im Saale-Orla-Kreis statt. Um nach dem Erfolg in Sonneberg die Wahl eines weiteren AfD Landrats zu verhindern, hatte sich Ende 2023 das lokale Bündnis „Dorfliebe für alle“ gegründet. Im ersten Durchgang erreichte der AfD-Kandidat Uwe Thrum mit Abstand die meisten Stimmen und es kam zu einer Stichwahl mit dem CDU-Kandidaten Christian Herrgott. Trotz ähnlicher Konstellationen wie in Sonneberg, konnte Herrgott sich in der Stichwahl mit rund 5%-Punkten Vorsprung gegen Thrum durchsetzen. Dies dürfte nicht zuletzt auch mit der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung zu erklären sein.
Wahlen Runde 1: Europa, Landräte und Kommunal
Die öffentliche Berichterstattung nach den Kommunal- und Europawahlen polarisierte deutlich. Ein Teil der Artikel beschrieb die „Blaue Welle“ als gebrochen, ein anderer Teil proklamierte den weiteren Rechtsruck und das Erstarken der AfD. Grund für diese unterschiedlichen Einschätzungen waren zumeist die unterschiedlichen vergleichenden Bezugspunkte der Autor*innen. Diejenigen, die in den Ergebnissen eine Wahlniederlage für die AfD sahen, bezogen sich meist auf die Umfragen der letzten Monate, die im Schnitt höher waren, als die tatsächlich erzielten Wahlergebnisse der AfD. Besonders bei der Europawahl lag die AfD bundesweit in Umfragen teils bei 24% und erhielt am Ende „lediglich“ 15,9%. Verglichen mit den Ergebnissen der Europawahl 2019 war dies dennoch ein Zugewinn von 4,9%. In den ostdeutschen Bundesländern sah das Ergebnis ohnehin anders aus. So erzielte die AfD bei den Europawahlen 30,7% und war damit stärkste Kraft. Hier war ein Zugewinn von 8,2% Prozent zu verzeichnen. Bei den Kommunalwahlen konnte die AfD im Landesschnitt bei den Kreistags- und Stadtratswahlen 25,8% der Stimmen erringen und lag damit hinter der CDU auf dem zweiten Platz. Mit Ausnahme des Unstrut-Hainich Kreises zogen die Kandidat*innen der AfD bei allen Landratswahlen, bei denen die AfD antrat, in die Stichwahlen ein. Im zweiten Wahlgang konnte die AfD allerdings keinen weiteren Landratsposten für sich gewinnen. Vergleicht man die Stichwahlergebnisse mit den drei vorangegangenen Wahlen um die Landrats- bzw. Oberbürgermeisterwahlen in Sonneberg, Nordhausen und dem Saale-Orla-Kreis, schnitten am 9. Juni alle Kandidat*innen deutlich schlechter ab, als noch die Monate zuvor. Dies ist nicht als Argument zu lesen, dass die „Blaue Welle“ gestoppt wurde, aber es ist ein Anhaltspunkt, ob die Berichterstattung über die Deportationspläne der extremen Rechten und auch die darauf folgenden Massenproteste gegen die AfD einen Einfluss auf die Wahlergebnisse hatten. Dies scheint – mit aller Vorsicht – der Fall zu sein. Insgesamt bleibt dennoch festzuhalten, dass die AfD bei allen Wahlen im Mai und Juni 2024 ihre Ergebnisse verbessern konnte, jedoch die Ereignisse der letzten Monate offensichtlich dazu führten, dass die Zugewinne nicht noch höher ausfielen. Die ausgebaute Präsenz der AfD auf kommunaler Ebene birgt vor allem die Gefahr einer weiteren Normalisierung.
Die Landtagswahl: Der Siegeszug der AfD und die Destabilisierung der parlamentarischen Demokratie
Im dritten Quartal 2024 stand die Landtagswahl im Fokus der politischen Aktivitäten der extremen Rechten und des Engagements der demokratischen Zivilgesellschaft. Am 1. September fand in Thüringen die Landtagswahl statt. Schon die Umfragen vor der Wahl ließen einen Zugewinn für die AfD erwarten. Zwei wichtige Fragen waren unter anderem, ob die AfD mit ihrem Ergebnis auch die parlamentarische Sperrminorität erreichen und ob im Freistaat überhaupt eine Regierungsbildung möglich sein würde. Mit 32,8 % der abgegebenen Stimmen wurde die AfD stärkste Kraft in Thüringen. Die extrem rechte Partei steigerte ihr Ergebnis im Vergleich zur Landtagswahl in 2019 deutlich um 9,4%-Punkte.
Dabei konnte die Partei wie keine andere von der gestiegenen Wahlbeteiligung profitieren. Diese hatte sich von 2019 mit 64,9% auf 73,6% deutlich erhöht. Laut der Analysen von Infratest dimap entschieden sich rund 71.000 ehemalige Nichtwähler*innen bei der Landtagswahl nun für die AfD. Neben dem hohen Zugewinn der AfD insgesamt ist besonders das Ergebnis in der Gruppe der Wähler*innen im Alter von 18 bis 24 besorgniserregend. In dieser Alterskohorte gaben insgesamt rund 38% ihre Stimme der extrem rechten Partei. Mit ihrem Ergebnis verfügt die AfD in Thüringen nun auch über die Sperrminorität und ist in der Position auf verschiedenen Ebenen Entscheidungen blockieren zu können oder/und die eigene Präsenz in Gremien deutlich auszubauen. So kann beispielsweise ohne Zustimmung der AfD weder der Landtag aufgelöst, Richter*innen im Richterwahlausschuss gewählt, noch die parlamentarische Kontrollkommission besetzt werden. Letztere dient eigentlich der Kontrolle des Verfassungsschutzes, der wiederum die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft.
Das Ende des Jahres war vor allem durch die große Unsicherheit geprägt, ob in Thüringen überhaupt eine Regierung durch die demokratischen Parteien gebildet werden könnte. Die schwierigen Verhandlungen zwischen CDU, SPD und BSW dürften zur weiteren Verunsicherung der Wähler*innen in Thüringen führen und könnten eine weitere Abkehr von den demokratischen Parteien bestärken.
Reichsbürger und andere Spektren
Die Szene der „Reichsbürger“ war 2024 sehr aktiv in Thüringen. Neben zahlreichen Vorträgen und Kongressen fand auch die größte bundesweite Szene-Demonstration mit rund 1.000 Menschen in Gera statt. Daneben waren die lokalen Gruppen weiter fester Bestandteil des themenflexiblen Protestspektrums und in Teilen Bündnispartner der AfD. Insbesondere der langjährige Aktivist Frank Haußner aus Zeulenroda, eine der Führungsfiguren von „Freies Thüringen“, bildet eine zentrale Schnittstelle zwischen „Reichsbürger“-Milieu und AfD. Zudem ist Thüringen weiterhin der wichtigste Veranstaltungsort für bundesweite „Reichsbürger“-Netzwerke. Regelmäßig finden in zahlreichen Regionen Vorträge unterschiedlicher „Reichsbürger“-Gruppen statt. Die größten beiden Veranstaltungen waren zum einen das „Große Treffen der Bundesstaaten 25 + 1“ am 6. April in Gera. Rund 1.000 Anhänger der Szene kamen hier zusammen. Insgesamt wurde das Veranstaltungsformat bereits vier Mal durchgeführt, in Thüringen allerdings mit dem größten Zulauf. Daneben fand mit dem „Staatsvolktreffen“ am 16. November ein weiteres bundesweites Treffen statt. Aufgrund der Intervention der Behörden stand den Veranstaltern kein Raum zur Verfügung und so wandelten sie die als Tagung geplante Veranstaltung in eine Demonstration in Leinefelde um, bei der auch einige der vorgesehenen Redner sprachen. Insgesamt waren trotz des Ausfalls der eigentlichen Veranstaltung dennoch zwischen 200 und 300 Menschen angereist. Diese beiden Großereignisse zeigen neben zahlreichen kleineren Veranstaltungen und der Vernetzung der mutmaßlichen Terrorgruppe um Prinz Reuß, dass Thüringen von zentraler Bedeutung für die bundesweite Szene ist. „Reichsbürger“ sind im Kontext des stattfindenden Rechtsrucks ein wichtiger Faktor sowohl in der Mobilisierung auf der Straße als auch bei der grundsätzlichen Delegitimierung des demokratischen Systems. Sie verstärken nicht nur die Verbreitung von Verschwörungserzählungen, sondern arbeiten dadurch auch aktiv an der Abkehr zahlreicher Menschen vom demokratischen Diskurs.
Neonazi-Szene: Verfahren, Immobilien und RechtsRock
Die Bedeutung der Neonazi-Szene als politischer Faktor ist seit dem Auftauchen der AfD immer weiter zurückgegangen. Als subkulturelles Phänomen und Struktur insgesamt ist ihr Beitrag für das Erstarken der extremen Rechten aber nicht zu unterschätzen. Besonders in Regionen in denen einzelne Aktivisten seit vielen Jahren aktiv sind und/oder die Szene über eigene Immobilien verfügt, ist der Einfluss der „klassischen“ extremen Rechten besonders hoch. Dies erklärt auch die zahlreichen Stimmen, die der Neonazi Tommy Frenck bei der Wahl zum Landrat in Hildburghausen erlangte: mit 24% erreichte er nicht nur die Stichwahl, sondern konnte dort sein Ergebnis sogar auf 30% steigern.
Vor allem der Prozess gegen die Hauptangeklagten im „Knockout51“-Prozess hatte für die Thüringer Neonazi-Szene deutliche Auswirkungen. Vor dem Oberlandesgericht in Jena standen mit Leon R., Bastian A., Maximilian A. und Eric K. die vier Haupttäter vor Gericht (Eine ausführliche Dokumentation des Prozesses findet sich hier: https://prozessdoku-thueringen.de). Ihre rund 2-jährige Inhaftierung ließ die Aktivitäten der Neonazi-Szene in Eisenach deutlich einbrechen. Im Zuge der Ermittlungen gab es Ende 2023 weitere Verhaftungen gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Gruppe. Darunter auch der Heimat-Funktionär Patrick David Wieschke. Im September 2024 gab die Bundesanwaltschaft dann die Anklage-Erhebung gegen Patrick David Wieschke, Kevin N. und Marvin W. bekannt. Das Verfahren soll erneut am OLG in Jena stattfinden. Seitens der Neonazi-Szene wurden Wieschke seine Kooperation und sein Aussageverhalten vorgeworfen. Er gilt damit in weiten Teilen der Szene als Verräter. Eine der offensichtlichen Folgen war auch nach seiner Haftentlassung, dass bisher keine weiteren öffentlich bekanntgewordenen RechtsRock-Konzerte mehr in der Eisenacher Heimat-Landesgeschäftsstelle stattgefunden haben. Das Wegbrechen einer der wichtigsten Szene-Immobilien als Veranstaltungsort hatte auch einen deutlich wahrnehmbaren Abwärtstrend der Aktivitäten im Bereich RechtsRock zur Folge.
Gleichzeitig verließ der Neonazi Tommy Frenck den von ihm gepachteten Gasthof „Goldener Löwe“ in Kloster Veßra (Landkreis Hildburghausen) und bezog nur wenige Kilometer entfernt in Brattendorf eine neue Immobilie. Mit der Eröffnung des „Eisernen Löwen“ im September steht nun eine neue Szene-Gaststätte zur Verfügung, die sich mit Neonazi-Kitsch vor allem wieder an die eigene Szene richtet. Frenck kündigte im Zuge der Neueröffnung gleich mehrere RechtsRock-Konzerte bis Jahresende an. Auch in Ohrdruf (Landkreis Gotha) verlor die Neonazi-Szene eine Immobilie. Die Kleinstpartei Der Dritte Weg musste vor wenigen Wochen hier ihr Parteibüro räumen.
Eine Neuformierung im Bereich jugendlicher Neonazismus zeigte sich spätestens beim Wahlkampf-Abschluss der AfD am 31. August auf dem Domplatz in Erfurt. An der Versammlung nahm eine größere Gruppe teils sehr junger Neonazis teil, die bisher in verschiedenen Organisationen aktiv waren. Nach dem Zerfall der Neue Stärke Partei (NSP) und in Folge des Gerichtsverfahrens gegen die Neonazis der extrem rechten Kampfsportgruppe „Knockout 51“ scheinen sich im jugendlichen und militanten Neonazismus neue Netzwerke herauszubilden. Bereits in der Vergangenheit waren unter anderem in Erfurt junge Neonazis aufgefallen, die Aktionen der demokratischen Zivilgesellschaft störten und angriffen. Zudem tauchten thüringenweit wieder vermehrt Graffiti mir rechten Botschaften auf. Diese neuen Netzwerke zeigten sich auch beim Wahlkampfabschluss der AfD in Erfurt. Hier traten als wahrnehmbare Gruppe nicht nur Personen aus den ehemaligen Strukturen der NSP, einzelne Mitglieder von „Knockout 51“, sondern auch aus dem Umfeld der Neonazi-Partei Der Dritte Weg und der Fanszene des Rot-Weiß-Erfurt auf. Daneben waren auch Akteure aus dem völkischen Spektrum vor Ort und Aktivisten der Identitären Bewegung. Eine ähnliche Personen-Konstellation war dann auch bei einer neonazistischen Demonstration am 14. September gegen den CSD in Eisenach zu beobachten. Hier kam erneut eine Mischung verschiedener Neonazis aus thüringenweiten Netzwerken zusammen, die vor allem auch als Ordner die sonst mobilisierungsschwache Veranstaltung absicherten.
Fazit
Im Jahr 2024 hat sich in Thüringen auf parlamentarischer Ebene eine weitere Verschiebung nach rechts manifestiert. Die AfD konnte bei nahezu allen Wahlen ihre bisherigen Ergebnisse ausbauen. Diese Erfolge führen zu einem noch stärkeren Einfluss und Ausbau der Präsenz der Partei im Freistaat. Bereits wenige Tage nach der Wahl hat die Partei ihre Dauerbeschallung durch Infostände und Veranstaltungen in ganz Thüringen wieder aufgenommen. In den kommunalen Gremien und im Landtag ist es kaum noch möglich die löchrige Brandmauer aufrecht zu erhalten. Viel mehr zeichnet sich immer deutlicher ab, dass demokratische Parteien gewillt sind mit der AfD zusammenzuarbeiten, wie etwa die Verhandlungen zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag deutlich machten.
Der Erfolg der extremen Rechten war in den zurückliegenden Monaten vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu beobachten. Nicht zuletzt dokumentiert durch das Landtagswahlergebnis in Thüringen. Hinzu kommt, dass bei Demonstrationen auch die Rückkehr des Stils der neonazistischen Skindhead-Szene zu beobachten war. Besonders die sozialen Netzwerke wie TikTok zeigen außerdem einen beängstigenden Trend, was die Verbreitung von extrem rechten und vor allem neonazistischen Inhalten und Symbolik angeht.
Die Erfolge der AfD führen auch zu einer Stärkung ihres Umfeldes und zeigen, wie beispielsweise bei der „Reichsbürger“-Szene eine ständig wachsende Aktivität. Das Bundesland ist damit eines der zentralen Knotenpunkte für die bundesweite Szene.
Die Krisen und Kriege der letzten Jahre in Kombination mit der teils instabilen Regierungskonstellationen sowohl auf Landes- wie auch Bundesebene bereiten für den Aufstieg extrem rechter Akteure verschiedener Couleur einen fruchtbaren Nährboden.