Zivilgesellschaftlicher Protest Allgemein

Die Grenzen der Zivilgesellschaft

Statement nach der Landtags- und Bundestagswahl.

Die Wahlerfolge der AfD und die neue Phase der (elektoralen) Mobilisierung der extremen Rechten stellen die demokratische Zivilgesellschaft vor große Herausforderungen. Es geht in den kommenden Jahren darum, die Reihen zu schließen und die eigenen Grenzen zu erkennen.

Schon die Landtagswahlen in den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben in den letzten Monaten deutlich gezeigt, welches Wähler:innen-Potential die AfD gerade in den neuen Bundesländern hat. In allen drei Bundesländern kam die extrem rechte Partei auf rund ein Drittel der abgegebenen Stimmen. In Thüringen mit 32,8% wurde die AfD nicht nur stärkste Kraft, sondern verfügt in den kommenden Jahren auch über eine Sperrminorität im Landtag. Bei der gestrigen Bundestagswahl zeigte sich, dass es die AfD vermochte, bundesweit und besonders im Osten der Republik diesen Erfolg weiter zu steigern. Bundesweit hat die extrem rechte Partei ihr Ergebnis verdoppelt und erreichte 20,8 % der abgegebenen Stimmen. Dabei konnte sie wie keine andere Partei vom Zulauf bisheriger Nichtwähler:innen profitieren. In Thüringen gelang es der Partei ihr Wahlergebnis deutlich zu steigern. Mit fast 39 % der abgegebenen Stimmen erhöhte die Partei ihr Ergebnis nochmal um rund 6 %-Punkte. Die Enttäuschung und Bestürzung, welche diese Ergebnisse auch bei der demokratischen Zivilgesellschaft nach all den Jahren der Aufklärungs- und Mobilisierungsarbeit auslösten, war bei der Demonstration am Tag der Landtagswahl in Erfurt im September 2024 schon deutlich zu spüren. Und auch am heutigen Morgen herrscht große Fassungslosigkeit in weiten Teilen der demokratischen Zivilgesellschaft. Ein derartiges Mobilisierungspotential für eine einzelne extrem rechte Partei hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 und dann im geeinten Deutschland seit 1990 nicht gegeben. Damit steht die demokratische Zivilgesellschaft einer Partei gegenüber, die über hunderte Mitarbeiter:innen, Büros und andere Ressourcen verfügt, um die Demokratie zu bekämpfen.

Grenzen erkennen

In den Monaten vor der Landtagswahl in Thüringen und nun vor der Bundestagswahl hatten sich tausende Menschen auf den Straßen diesem Rechtsruck entgegengestellt, zig Projekte hatten mit digitalen Kampagnen Aufklärung betrieben und viele bekannte Persönlichkeiten gegen die Wahl der extrem rechten Partei Position bezogen. Die enorm hohen Wahlergebnisse für die extrem rechte AfD zeigen: Gegen die multiplen sozialen und politischen Krisen (Pandemie, Krieg, wirtschaftliche Abstiegsängste) sind diese Aktionen und Maßnahmen der demokratischen Zivilgesellschaft nur eingeschränkt wirksam. Zumindest in Bezug auf die Wahlergebnisse. Ein großer Teil der Bevölkerung ist in dieser Situation bereit, einer extrem rechten Partei die Stimme zu geben. Davon können weder Demos noch Aufklärung diese Menschen abhalten. Hinzu kommt eine immer weitere Erosion der etablierten demokratischen Parteien. Das Aus der Ampel dürfte eine Abkehr vieler Menschen vor allem von den Ampelparteien weiter verstärkt haben. In dieser Phase müssen wir auf der Ebene zivilgesellschaftlichen Engagements unsere Grenzen erkennen. Nicht nur, um Ressourcen sinnvoll einzusetzen, sondern auch, um Enttäuschungen vorzubeugen und um nicht die eigene Handlungsfähigkeit zu beschädigen. Demonstrationen und andere Kampagnen sind nicht sinnlos, aber wir erreichen mit diesen keinen gesamtgesellschaftlichen Wandel. Dennoch: Es geht auch darum, mit einer kraftvollen Demonstration die eigenen Reihen zu stärken und in einer so ausweglos scheinenden Situation zu sehen: Du bist nicht allein, tausende Menschen sind mit Dir. Und dies wird eine wichtige Aufgabe der kommenden Jahre sein: Die Reihen zu schließen und Leute zu stärken, die in den Fokus der AfD geraten und ihren Angriffen ausgesetzt sind – egal ob es antisemitische, rassistische, usw. Argumentationen sind, die hinter den Angriffen stecken. Kurz gesagt: Es braucht eine starke Solidarität untereinander! Dies bedeutet nicht zuletzt, da wo es möglich ist, Projekte und Netzwerke zu schaffen, die zeigen, wie man gesellschaftliches Leben solidarisch organisieren kann.

Politik der Verantwortung

Und die zivilgesellschaftlichen Akteur:innen müssen Druck auf die etablierten Parteien ausüben: Jenseits parteipolitischer Positionen geht es der AfD um nichts geringeres als die Abschaffung der Demokratie. Dies sollten sich alle deutlich machen. Ein Selbstüberbietungswettbewerb, der die Hetze der AfD aufgreift und es der Partei erlaubt, so ihre menschenverachtenden Positionen weiter zu verbreiten, wird die Situation nur verschlimmern. Es muss einen Minimalkonsens geben, der ein demokratisches und menschenrechtsorientiertes Fundament für alle als Grundlage ansieht. Dazu sollte seitens der regierenden Parteien auch die Förderung der demokratischen Netzwerke gehören. Strukturen nun zu kürzen und zahlreichen Menschen ihre Ansprechpartner:innen zu nehmen, wäre in dieser Situation fatal. Es würde nicht zuletzt die Geringschätzung der demokratischen Zivilgesellschaft und einer demokratischen politischen Kultur insgesamt zeigen. Und genau hier können wir Druck ausüben und in den Dialog mit den regierenden Parteien und der demokratischen Opposition gehen, damit diese ihre Verantwortung jenseits parteipolitischer Positionen nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Zusammenstehen!

Dies können nur einige wenige Punkte sein, um die aktuelle Situation zu beschreiben und Grundgedanken zu skizzieren. Es wäre jetzt die Zeit, bundesweit in die Diskussion zu gehen und neue Strategien zu entwickeln. Die Zeiten haben sich geändert und wir sollten gemeinsam und solidarisch darauf reagieren. Es geht um viel und Aufgeben kann keine Option sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Magazin der VVN-BdA für antifaschistische Politik und Kultur Ausgabe Jan/Feb. 2025 und wurde nach der Bundestagswahl aktualisiert.