Mobile Beratung in Thüringen

Immobilien der extremen Rechten – die Entwicklung in Schlaglichtern

Im Juli 2016 wurde das "Braune Haus" in Jena abgerissen. Hier wohnten zeitweilig mit Ralf Wohlleben und André Kapke wichtige Akteure des Thüringer Heimatschutzes und gleichzeitig enge Weggefährten des NSU-Trios | Bildquelle: Michael Gross (TA)

Der folgende Text erscheint in der Broschüre „Nach den rechten Häusern sehen“. Diese wird am 21.03.2018 in Eisenach veröffentlicht. Alle Infos zur Veranstaltung gibt’s hier.

Wenn in Vorträgen, Diskussionsrunden oder Gesprächen geäußert wird, Neonazis würden nicht im luftleeren Raum agieren, kann damit alles Mögliche gemeint sein. Und tatsächlich ist diese Aussage in vielerlei Hinsicht richtig. Sie agieren mittels Social Media im virtuellen Raum sowie mit Demonstrationen, Flugblattverteilungen oder Bedrohungen und Gewalttaten im öffentlichen Raum. Daneben agieren sie aber eben auch in ihren eigenen Räumlichkeiten. Hier wird die Vorarbeit für manche politische Aktivität geleistet, hier treffen und vernetzen sich Funktionär*innen, Aktivist*innen und die „Szene“ – Tatsachen, mit denen sich die Gesellschaft auseinandersetzen muss.

Überzeugte Neonazis lehnen die Bundesrepublik als Staat ab, delegitimieren sie als eine „Besatzerrepublik“ samt einer „überfremdeten“ und von nicht-deutschen Interessen gesteuerten Gesellschaft. Daher sind Freiräume von dieser, ihren Lebensentwürfen zuwider laufenden modernen Gesellschaft auch Sehnsuchtsorte. Orte, um ihre rückwärtsgewandte, menschenfeindliche Vorstellung von einem „deutschen Sozialismus“ ausleben zu können; Orte, wo sie sich mit ihrer NS-Attitüde nicht verstecken müssen und wo sie ihre Vorstellungen ausleben können.

Das nationale Hochgefühl, das nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten Anfang der 1990er Jahre herrschte, gab der extrem rechten und neonazistischen Szene in Thüringen und Ostdeutschland Rückenwind. Das durcheinandergeratene Wertegefüge vieler Ex-DDR-Bürger*innen, insbesondere vieler Jugendlicher, begünstigte extrem rechte Einstellungen. Somit gibt es aus den frühen 1990er Jahren viele lokale Erzählungen von Jugendklubs mit rechter Klientel oder wilden Treffpunkten in verlassenen Industrie- oder Militärhinterlassenschaften.[1]

Ein frühes Beispiel für solche Treffpunkte der Neonaziszene ist ein unterkellertes einstöckiges Gebäude am Dichterweg im Osten von Weimar. Das Gebäude war von rechten Jugendlichen Anfang 1991 besetzt worden. Anfangs ließ die Stadt die Besetzer*innen gewähren, schien mit der Situation überfordert. Linke Gruppen sprachen von einer Verharmlosung in der Öffentlichkeit, von Treffen, „die dazu dienten, ihrer menschenfeindlichen Vorstellung von Zusammenleben ein Stück Wirklichkeit werden zu lassen und von dort aus Aktionen gegen Andersdenkende oder Andersaussehende zu planen bzw. auch durchzuführen“[2]. 1992 wurde der Treffpunkt im Zuge des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt (AgAG) des Bundesfamilienministeriums faktisch legalisiert und sozialarbeiterisch betreut.[3]

Am 11. Juli 1992 fand dort ein Kameradschaftstreffen statt, bei dem Funktionär*innen der Deutschen Alternative (DA) auftraten.[4] Die DA war 1989 aus dem Umfeld von Michael Kühnen gegründet worden und stark von ihm beeinflusst. Auch ein Mitglied der damaligen Bundesregierung – Angela Merkel als Bundesfamilienministerin – besuchte im Oktober 1992 den Jugendklub am Dichterweg. Hier offenbaren sich deutlich Ahnungslosigkeit, Beschwichtigung und mangelnde politische Distanz. Am 10. Dezember 1992 wurde die DA von Bundesinnenminister Rudolf Seiters verboten.

Bilder aus dem Dichterweg Weimar Anfang der 1990er-Jahre
Akzeptierende Jugendarbeit im Dichterweg Weimar Anfang der 1990er-Jahre | Bildquelle: Infoladen Weimar

Das AgAG-Programm forcierte eine (akzeptierende) Jugendarbeit mit rechtsaffinen bis offen neonazistischen Jugendlichen bzw. Heranwachsenden. Für die Funktionär*innen der diversen neonazistischen Parteien und Gruppierungen, die in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in den neuen Bundesländern Anhänger*innen gewinnen wollten, stellte die staatliche Aufsicht in den Jugendklubs ein Hemmnis dar. Je mehr der Staat auch mit repressiven Schritten, wie Verboten von Neonazi-Gruppierungen, die Kontrolle zurückzuerlangen suchte, desto notwendiger wurden aus Szenesicht eigene Rückzugsräume. Michael Kühnen, der wohl bekannteste und wichtigste Neonazi der 1980er Jahre in Westdeutschland kaufte bereits 1990 in Zimmern bei Bad Langensalza ein Haus, um damit eine Basis für Aktivitäten zu haben.[5] Insbesondere für konspirative Schulungen, die ab 1992 in der radikalen Neonaziszene diskutiert wurden, benötigte man den Zugriff auf eigene Immobilien.[6]

Mitte der 1990er Jahre entwickelte sich in Ostthüringen der Thüringer Heimatschutz als Zusammenschluss einzelner lokaler Neonazikameradschaften. Zunächst trafen sich Mitglieder teils wöchentlich in einem Gasthof in Rudolstadt-Schwarza.[7] Seit Ende 1996 stand ein gepachteter Landgasthof in dem abgelegenen Dorf Heilsberg, ebenfalls nahe Rudolstadt, zur Verfügung. Die Gaststätte in Heilsberg wurde zur Blaupause für spätere Immobiliennutzungen: Hier fanden Konzerte und Liederabende ebenso wie Gesprächskreise, Strategietreffen und Mittwochsstammtische mit bis zu 150 Teilnehmer*innen statt.[8] Bei einer Hausdurchsuchung am 11. Oktober 1996 fand die Polizei „das bis dahin größte Waffenlager von Neonazis“ in Thüringen.[9] Erst Ende 1998 wurde den Neonazis gekündigt.

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Das „Braune Haus“ in Jena war 14 Jahre lang fester Anlaufpunkt der Szene und damit das bisher langlebigste Hausprojekt der extremen Rechten in Thüringen | Bildquelle: MOBIT

Am 21.11.2001 redete ein Vertreter der Kameradschaft Jena-Ost vor den Jenaer Stadtrat. Er versuchte, die Stadträt*innen davon zu überzeugen, der Kameradschaft ein „selbstverwaltetes Jugendzentrum“ zuzugestehen, dass sich die Mitglieder „nach dem Geschmack der angesprochenen Zielgruppe einrichten könnten“, in dem sie die „Freizeitgestaltung aktiv mitbestimmen könnten“ und die „Jugendlichen nicht zwangsläufig unter der Beobachtung von Sozialarbeitern stehen“. Zu dieser Zeit lagen jedoch schon zehn Jahre Erfahrungen mit neonazistischen Hausprojekten vor, sodass die Stadt Jena der Kameradschaft kein Objekt zur Verfügung stellte. Die Erfahrungen, zum Beispiel aus dem AgAG-Programm, zeigten: Ein Entgegenkommen deideologisiert und deradikalisiert die Neonaziszene eben nicht. Im darauf folgenden Jahr wurde im Stadtteil Lobeda das sogenannte Braune Haus in der Jenaischen Straße 25 per Mietkauf erworben. Hier wohnten zeitweilig mit Ralf Wohlleben und André Kapke wichtige Akteure des Thüringer Heimatschutzes und gleichzeitig enge Weggefährten des untergetauchten NSU-Trios. Auch hier fanden wieder Vortragsveranstaltungen und Liederabende statt. Darüber hinaus fungierte das Haus als NPD-Parteizentrale. Im Juli 2016 wurde das Gebäude abgerissen. Mit etwa 14 Jahren Existenz, in der das Braune Haus ein fester Anlaufpunkt war, ist es das bisher langlebigste Hausprojekt der extremen Rechten in Thüringen.

Seit Mitte der 2000er Jahre nahm die Entwicklung weiter Fahrt auf: Im Jahr 2003 erwarb der Neonazi Jürgen Rieger in Pößneck das Schützenhaus. Zwei Jahre später fand dort ein Konzert mit der bekannten Band Die Lunikoff-Verschwörung im Anschluss an einen NPD-Landesparteitag statt. Staatliche Stellen schätzten die Situation im Vorfeld völlig falsch ein, sodass die Polizeikräfte den etwa 1.500 teilnehmenden Neonazis nicht gewachsen waren. Dem eigentlich verbotenen Konzertgeschehen mussten sie tatenlos zusehen. In Saalfeld wurde 2005 ein Gebäude als Treffpunkt genutzt, 2008 nutzte die Szene das Drei Mädle Haus im Landkreis Greiz, das Alte Labor in Unterwellenborn bei Saalfeld und 2010 in Bad Langensalza das Bürohaus Europa.

Als die Mobile Beratung in Thüringen. Für Demokratie – Gegen Rechtsextremismus (MOBIT) im Sommer 2012 eine Bustour zu den Immobilien der extremen Rechten organisierte, verfügte die Szene bereits über 10 Häuser. Die Anzahl stieg seither. Die nunmehr 15 Immobilien in Thüringen bilden eine zentrale Infrastruktur der extrem rechten Szene, die insbesondere im Bereich des RechtsRocks die Entwicklung Thüringens zu einem Kernland extrem rechter Konzert- und Eventkultur möglich gemacht hat.

[1] Vgl. hierzu auch die Nennung verschiedener Treffpunkte der rechten Szene in: Thüringer Landtag.5.Wahlperiode.Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses 5/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“. Drucksache 5/5810. Abschnitt 368, S.182.
[2] KommPost. Der Tragödie erster Teil (1993), S. 3.
[3] Vgl. Becker, Gerd; Lingscheid, Anna: Gewaltig. Texte und Fotos zum Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt in Thüringen (1993).Frankfurt am Main.
[4] Vgl. ebd. S. 37.
[5] Siegler, Bernd: Rechtsextremismus in der DDR und den neuen Ländern. in: Mecklenburg, Jens (Hrsg). Handbuch Deutscher Rechtsextremismus. (1996). Berlin, S. 632.
[6] Ebd, S.635ff.
[7] Deutscher Bundestag. Drucksache 17/14600 (NSU-Untersuchungsausschuss). 2013, S.92.
[8] Thüringer Allgemeine (07.12.2011): Terror aus Thüringen (Teil 3): Der Mann an der Spitze, in:  http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Terror-aus-Thueringen-Teil-3-Der-Mann-an-der-Spitze-1615228598 [zuletzt überprüft am 27.09.2017].
[9] Thüringer Landtag: Bericht des Untersuchungsausschusses 5/1 ‚Rechtsterrorismus und Behördenhandeln‘, Drucksache 5/8080, Erfurt, 2014, S. 177ff.