Rechtsextremismus RechtsRock Mobile Beratung in Thüringen

Erholt zurück aus den Jahren der Pandemie: Die RechtsRock-Szene 2023 in Thüringen

Die Anzahl der RechtsRock-Konzerte in Thüringen in 2023 ist mit 51 Veranstaltungen wieder auf dem Niveau der Jahre vor der Corona-Pandemie. Am Konzertgeschehen in Eisenach zeigt sich die vernetzende Funktion von RechtsRock-Konzerten.

Nach 31 extrem rechten Musikveranstaltungen in Thüringen im Jahr 2022 ist das Konzertaufkommen im vergangenen Jahr mit 51 Veranstaltungen wieder auf dem Niveau der Zeit vor der Corona-Pandemie angelangt. Damit fand durchschnittlich ein extrem rechtes Konzert pro Woche in Thüringen statt.

Verteilt waren die Konzerte auf 12 der 22 Thüringer Landkreise und kreisfreien Städte. Spitzenreiter war der Wartburgkreis mit 15 Konzerten in Eisenach, gefolgt vom Landkreis Sömmerda mit acht Konzerten in der „Gedächtnisstätte Gutmannshausen“ und drei Konzerten im Landkreis Hildburghausen, im „Gasthaus Goldener Löwe“ in Kloster Veßra.

Liederabende weiterhin bevorzugtes Format

Auch in 2023 blieben Liederabende im zehnten Jahr in Folge das beliebteste Veranstaltungsformat. Bei rund 85% aller Veranstaltungen traten Protagonisten mitunter altbekannter Bands solo bei Unplugged-Konzerten auf. Größere Konzerte mit einer ganzen Band oder mehreren fanden nur vereinzelt statt; zumeist aus dem Stilbereich des rechten Metal.[1] So traten im Erfurter Club „From Hell“ im Mai die finnische Band „Horna“ oder im August „Arkona“ aus Polen auf. Ein im Frühjahr als Firmenfeier deklariertes Konzert in Zeulenroda mit drei szenebekannten RechtsRock Bands davon eine aus Belgien, wurde durch einen Polizeieinsatz beendet. Bands aus dem Ausland bildeten im extrem rechten Konzertgeschehen 2023 in Thüringen mit nur vier Veranstaltungen eine seltene Ausnahme. Ein Konzert der extrem rechten Liedermacherin Kathrin Enderle alias „Eine deutsche Frau“ im Januar als auch ein Auftritt derselbigen bei einem „Reichsbürger“-Kongress im Juni im Eichsfeld blieben die einzigen Konzerte im gesamten Jahr mit einer Musikerin auf der Bühne.

Über Liederabende und Konzerte als Abendgestaltung hinaus nutzt die extreme Rechte Live-Musik als Begleitung von Parteitagen, Vernetzungstreffen oder Gedenkveranstaltungen. MOBIT dokumentiert diese musikalischen Darbietungen als „sonstige Musikveranstaltungen“. So untermalte in 2023 der extrem rechte Liedermacher Frank Rennicke in Ronneburg eine gemeinsame Faschingsveranstaltung der extrem rechten Gruppierungen „Miteinanderstadt Gera“, „Freies Thüringen“ und der Partei „Freie Sachsen“. Wie viele Jahre zuvor lieferte der Liedermacher Axel Schlimper die Begleitmusik zu dem von Tommy Frenck organisierten geschichtsrevisionistischen Gedenkveranstaltung „Heldengedenken“ im November in Schleusingen. Gerade solo auftretende Musiker*innen der RechtsRock-Szene können ohne großen Aufwand an verschiedenen Aktionsformen mitwirken.

Extrem rechte Großveranstaltung mit Festivalcharakter, wie etwa das bekannte RechtsRock-Festival in Themar mit seinen 6000 Teilnehmenden im Jahr 2017, fanden in Thüringen Im vierten Jahr in Folge nicht statt. Gerade sie prägten über Jahre das öffentliche Bild von RechtsRock-Konzerten. Seit Corona scheinen sie jedoch der Vergangenheit anzugehören und dürften bis auf weiteres keine große Rolle in Thüringen mehr spielen. Bereits vor der Pandemie hatten zivilgesellschaftlicher Protest und staatliche Repression dazu beigetragen, die Attraktivität dieses Veranstaltungsformates für die Szene zu verringern. Unter anderem die Inhaftierung zentraler Figuren der „Turonen“ als maßgebliche Organisatoren der Großkonzerte der vergangenen Jahre, stellte einen erheblichen Einschnitt für die Szene dar. Im März 2024 endete der sogenannte „Turonen“-Prozess in Gera mit hohen Haftstrafen.[2]

Extrem rechte Musik zur Vermarktung und Finanzierung

Seit jeher nutzt die Szene Musikveranstaltungen zur Spendensammlung zur Unterstützung von Szene-Angehörigen in Strafverfahren, was auch 2023 zu beobachten war. Bei einem für März 2023 in Kahla angekündigten Konzert stand Ralf Wohlleben, ein verurteilter Beteiligter der rassistischen NSU-Mordserie als Begünstigter im Mittelpunkt. Das Konzert wurde durch die Polizei verhindert. Bereits in 2022 dienten RechtsRock-Konzerte in Eisenach der Spendensammeln für die lokalen Angeklagten im Prozess zu „Knockout 51“.

Die Anzahl der in Thüringen ansässigen Versandhandel extrem rechter Musik und Merchandise ist nicht geringer geworden. Mit dem Versand „Das Zeughaus“ kam ein weiterer bundesweit bedeutender Versand hinzu.  Das Merchandise der bekannten RechtsRock-Band „Sleipnir“ wird inzwischen von Tommy Frenck aus Kloster Veßra vertrieben. Dessen Versandgeschäft zählt, wie auch Thorsten Heises „Deutsches Warenhaus“ zu den bundesweit größten Neonazi-Versandgeschäften mit breit gemischtem Angebot. Hier gibt es neben Musik eben auch Bekleidung, Deko-Gegenstände und Waffen. Hier wird einmal mehr die Bedeutung der Thüringer Akteur*innen für die RechtsRock- Szene bundesweit deutlich.

Dies könnte auch ein Grund dafür sein, warum Thüringen darüber hinaus auch „Schauplatz“ von Musikvideoproduktionen bekannter Neonazis- Bands ist. So drehte die Bremer Nazi-Hooligan-Band „Kategorie C“ um Hannes Ostendorf gemeinsam mit lokalen Unterstützer*innen auf einem alten Fabrikgelände im nordthüringischen Wolkramshausen. Ein weiteres Video von Ostendorf im Duett mit Kathrin Enderle alias „Eine deutsche Frau“ wurde in Sondershausen aufgenommen.

Szeneimmobilie in Eisenach – Wohlfühlzone für extrem rechte Musik

Eine hervorstechende Rolle spielte im vergangenen Jahr das Musikgeschehen in Eisenach. Knapp ein Drittel der durch MOBIT dokumentierten Konzerte fand dort statt. Damit hat Eisenach Kloster Veßra, wo die Konzertzahlen seit Corona deutlich zurückgegangen sind, als traurigen Spitzenreiter der RechtsRock-Statistik abgelöst. In der westthüringischen Stadt kann die Szene mit der Kneipe „BullsEye“ und dem „Flieder Volkshaus“ auf gleich zwei Immobilien zurückgreifen. Letztere Liegenschaft fungiert auch als Landesgeschäftsstelle der Partei „Die Heimat“, ehemals NPD. Eisenach ist bereits seit zehn Jahren ein Hotspot der RechtsRock Szene, was vor allem am „Flieder Volkshaus“ liegt.

Am 8. Juli 2023 wurde ein Konzert aus den weltweit agierenden Netzwerken der kurz danach in Deutschland verbotenen „Hammerskins“ in Eisenach veranstaltet. Die vor Ort getragenen Insignien der Teilnehmenden ließen sich eindeutig den bundesweiten Netzwerken der „Hammerskins“ zuordnen und bilden damit deutlich sichtbar die bundesweite und sogar internationale Vernetzung der Szene ab, welche sich in Thüringen trifft. Foto: recherche-nord

Zu den Konzerten in Eisenach, die 2023 ausschließlich aus Liederabenden bestanden, kamen Angehörige der extrem rechten Szene auch aus bundesweiten Zusammenhängen, beispielsweise der inzwischen verbotenen „Hammerskins“ zusammen.

Die bundesweit bekannte Band „Sleipnir“ spielte im Juni sogar an zwei aufeinanderfolgenden Abenden in Eisenach. „Sleipnir“ ist dem extrem rechten international agierenden Netzwerk „Blood & Honour“ zuzurechnen. Das seit dem Jahr 2000 bundesweit verbotene Netzwerk konzentriert sich auf die Vermarktung extrem rechter Musik, Merchandise und der Koordinierung des dazugehörigen Konzertgeschehens. Stanley Röske, eine in 2019 in den Wartburgkreis zugezogene Führungsperson der deutschen Sektion von „Combat 18“, dem militanten Teil des „Blood & Honour“-Netzwerks reiste zu einem Konzertabend im August an. Seit Anfang April 2024 ist u.a. Röske von der Bundesanwaltschaft angeklagt gegen das Vereinigungsverbot von „Combat 18“ verstoßen zu haben.[3] Dies zeigt, dass auch die verbotenen Netzwerke und Strukturen weiterhin aktiv sind.

Repressionen gegen die RechtsRock-Szene durch Sicherheitsbehörden

In 2023 konnte thüringenweit ein aktiveres Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen extrem rechte Konzertgeschehen im Vergleich zu den Vorjahren festgestellt werden. Vier Konzerte in Ohrdruf, Zeulenroda, Sonneberg und Kloster Veßra löste die Polizei auf. Drei weitere Konzerte in Kahla, Suhl und Wolkramshausen wurden noch vor deren Beginn verhindert. Allerdings ist hier keine einheitliche Strategie erkennbar, denn im Gegensatz dazu fanden die Konzerte im „Flieder Volkshaus“, welche im Voraus öffentlich beworben wurden, ohne Einschränkungen durch die Behörden statt. Der Betreiber der Immobilie ist der Landesvorsitzende der Partei Die Heimat (vormals NPD), Patrick Wieschke. Er sitzt seit Dezember 2023 wegen Unterstützung der extrem rechten Eisenacher Kampfsportgruppe „Knockout 51“ in Untersuchungshaft, der vorgeworfen wird, als terroristische Vereinigung unter anderem den Tod politischer Gegner*innen geplant zu haben.[4]

Mehr als 85 Prozent der RechtsRock-Veranstaltungen fanden unbehelligt durch Ordnungsbehörden statt. Wenn staatliche Repression die RechtsRock-Szene und damit eine der Hauptfinanzierungsquellen neonazistischer Aktivitäten einschränken soll, muss die Quote von Konzertauflösungen bzw. Konzertverhinderungen noch deutlich verbessert werden.

Im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle kam es im Oktober 2023 zu bundesweiten Razzien. Im Visier standen Produktions- und Vertriebsstätten extrem rechter Musik. Im RechtsRock-Land Thüringen durchsuchten Polizeieinheiten das Grundstück und Wohnhaus von Thorsten Heise in Fretterode. Heise ist eine wichtige Figur, nicht nur in der bundesweiten RechtsRock-Szene, blieb allerdings bisher auffällig oft von ähnlichen Repressionsmaßnahmen verschont.[5]

Fazit

Die extrem rechte Musikszene in Thüringen ist lebendig. Neben der hohen Anzahl von Konzerten veröffentlichen Bands gemeinsam mit Szene-Unternehmern neue Musikalben oder Neu- bzw. Sonderauflagen alter Klassiker. Die 2023 wahrnehmbaren Repressionen sind ein positiver Anfang, der von RechtsRock-Konzerten ausgehenden Bedrohung zu begegnen. Die diesbezügliche Sensibilität von Behörden bleibt dennoch ausbaufähig, denn der Großteil der Konzerte findet nach wie vor unbehelligt statt. Journalistische und zivilgesellschaftliche Recherche und Initiative weisen immer wieder darauf hin.


[1] Erläuterungen zu den Kategorien: 2022_MOBIT_RechtsRock-Hass und Kommerz.pdf (S.6)

[2] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/gera/turonen-neonazis-haftstrafe-drogen-100.html

[3] https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/Pressemitteilung-vom-04-04-2024.html

[4] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/knockout51-npd-dieheimat-100.html

[5] https://mobit.org/Material/Mobit-Broschuere_ThorstenHeise_2020.pdf