Mehrere Menschen bei einer extrem rechten Demonstration in Schleusingen. eine Fraus schwenkt eine Thüringen-Fahne. Neben ihr läuft ein Mann mit einem Schild und der Aufschrift Remigration

Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Thüringen

Quartalsbericht: Im Blick – 01/2024

Die ersten Monate des neuen Jahres zeigten in Thüringen, was in diesem Jahr zu erwarten ist: Die Aktivitäten verschiedener extrem rechten Spektren bewegen sich bereits zum Jahresbeginn auf einem hohen Niveau. Eine Steigerung  darüber hinaus ist im Vorfeld der Wahlen zu erwarten.

Am 10. Januar veröffentlichte die Plattform „Correctiv“ eine Recherche zu einem extrem rechten Treffen rund um das Thema „Remigration“ in Potsdam: Daran beteiligt waren AfD-Politiker*innen, Neonazis, Konservative und Unternehmer*innen. Referiert hatte bei der Zusammenkunft u.a. Martin Sellner, eine der bekanntesten Figuren der „Identitären Bewegung“ in Deutschland und Österreich. Die Inhalte des Treffens, welche die Recherche ans Tageslicht brachte, sind keineswegs neu. Diese Pläne sind seit Jahren bekannt und wurden beispielsweise schon 2018 durch die AfD-Führungsfigur Björn Höcke publiziert. In seinem Interviewband heißt es:

„Ich bin sicher, daß – egal wie schlimm die Verhältnisse sich auch entwickeln mögen – am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können. Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen“

Höcke, Björn, Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig, Lüdinghausen und Berlin, 2018, S. 257.

Trotz der – zumindest einem Fachpublikum bereits bekannten – dokumentierten Inhalte der Recherche, führten die Veröffentlichungen bundesweit zu Massenprotesten gegen die extreme Rechte. Auch in Thüringen gingen über Wochen Tausende Menschen in zahlreichen Orten auf die Straße. Am 14. Januar fand nur wenige Tage nach den Veröffentlichungen dann der erste Wahlgang der Landratswahl im Saale-Orla-Kreis statt. Bereits Ende 2023 hatte sich das lokale Bündnis „Dorfliebe für alle“ gegründet, um für die Wahl demokratischer Kandidat*innen zu werben. Im ersten Durchgang erreichte der AfD-Kandidat Uwe Thrum mit Abstand die meisten Stimmen und es kam zu einer Stichwahl mit dem CDU-Kandidaten Christian Herrgott Ende Januar 2024. Trotz ähnlicher Konstellationen wie in Sonneberg, konnte Herrgott sich in der Stichwahl mit rund 5%-Punkten Vorsprung gegen Thrum durchsetzen. Dies dürfte nicht zuletzt auch mit der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung zu erklären sein. Die Wahl im Saale-Orla-Kreis ist dabei als Vorbote für die Kommunalwahlen Ende Mai zu sehen. Vor allem in den ländlich geprägten Landkreisen dürfte es zu ähnlichen Verläufen kommen. Die AfD wird bei den Kommunalwahlen versuchen, ihre Präsenz massiv auszubauen, um die möglichen Erfolge für die Landtagswahl im September zu nutzen. Die Partei setzt unterdessen – wie auch außerhalb der Wahlkampfzeiten – ihre Aktivitäten in der Breite fort. So führt die Partei zahlreiche als „Bürgerdialoge“ bezeichnete Vortragsveranstaltungen und Infostände durch und zum anderen versuchen vor allem Aktivist*innen der Jungen Alternative in den sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok mit kurzen Videos ihre Inhalte zu verbreiten. Ein besonderer Coup gelang Höcke, als CDU-Landesvorsitzender Mario Voigt sich auf ein TV-Duell mit ihm einließ. Am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald, dem 11. April, diskutierten beide Politiker bei einem Video-Format der WELT. Der extrem rechte AfD-Politiker Höcke mit besten Verbindungen auch in die Neonazi-Szene wird damit im beginnenden Wahljahr zum akzeptablen Diskussionspartner demokratischer Akteur*innen befördert. Die Normalisierungsstrategie der AfD hat damit im beginnenden Wahljahr einen enormen Schub erhalten.

„Bauernproteste“ und themenflexibles Protestspektrum

Seit der Corona-Pandemie hat sich ein themenflexibles Protestspektrum entwickelt, welches sich bis zur „Reichsbürger“-Szene zieht. Nach dem Ende der Corona-Beschränkungen hat sich dieses Spektrum immer wieder neue Themen gesucht, die sich an der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation orientierten, im Kern aber auch rassistische und demokratiefeindliche Inhalte verbreiteten. Im Zuge dieser Proteste wurde immer wieder auch versucht, neuentstandene Protestbewegungen zu vereinnahmen. Dazu gehörten auch die Bauernproteste im beginnenden Jahr 2024. Einerseits tauchten einschlägige Akteur*innen bei den Bauernprotesten auf und versuchten einen Schulterschluss zu inszenieren. Andererseits wurden bei den eigenen Protesten Traktoren als Symbol genutzt. Wirklich profitieren konnte die Szene allerdings nicht. Bei Aufrufen, die versuchten, an die Bauernproteste anzuschließen, aber nicht von den Bauernverbänden unterstützt wurden, kamen kaum mehr Personen zusammen als in den Monaten davor. Abgesehen von einzelnen Ausnahmen sind die meist am Montag stattfindenden Proteste der Mischszene auf wenige Dutzend Teilnehmende zusammengeschrumpft.

„Reichsbürger“

Die „Reichsbürger“-Szene in Thüringen ist nach wie vor fester Bestandteil der Proteste auf der Straße und in Teilen Bündnispartner der Thüringer AfD. Allen voran der langjährige Aktivist Frank Haußner aus Zeulenroda, eine der Führungsfiguren von „Freies Thüringen“. Im ersten Quartal 2024 ist eine deutliche Aktivierung der Szene-Strukturen im Freistaat zu beobachten. Einerseits versuchen lokale Akteur*innen sich über die Mobilisierung, vor allem bei Telegram, dem Protestgeschehen auf der Straße anzuschließen oder mit eigenen Initiativen sich weiter zu verfestigen. Zum anderen ist Thüringen Veranstaltungsort für bundesweite Netzwerke. Regelmäßig finden in zahlreichen Regionen Vorträge unterschiedlicher „Reichsbürger“-Gruppen statt. Vor allem die Expansion des von Peter Fitzek begründeten „Königreich Deutschland“ (KDR) ist in Thüringen in den zurückliegenden Monaten deutlich wahrzunehmen. So wurde im letzten Jahr nicht nur bekannt, dass Fitzeks Netzwerk eine Immobilie in Gera erworben hat, sondern seit einigen Monaten hat das „Königreich Deutschland“ vor allem in der Region Ilmenau seine Veranstaltungszahl deutlich erhöht. Neben Vorträgen und Seminaren finden in Thüringen mittlerweile auch regelmäßig Wanderungen beispielsweise in den Landkreisen Schmalkalden-Meiningen. Hildburghausen oder dem Ilmkreis statt, zu denen das KDR einlädt. Passend zum Immobilienerwerb des KDR in Gera mobilisierte die Szene für den 6. April für ein sogenanntes Treffen der Bundestaaten. Die Veranstaltung fand bisher zwei Mal statt, zunächst in Magdeburg und in Dresden. Sie ist eine Mischung aus Reden einschlägiger Szene-Aktivisten und einer Demonstration mit reichlich „Reichsbürger“-Kitsch wie Fahnen und Uniformen. Am 6. April nahmen rund 1000 Menschen an der Veranstaltung in Gera teil.

Neonazis

Im Vergleich zu den vorangegangenen Teilbereichen der extrem rechten Szene, ist die Neonazi-Szene in Thüringen weiterhin deutlich weniger aktiv als vor der Corona-Pandemie. Das Agieren der Strafverfolgungsbehörden in Eisenach und dem Wartburgkreis zeigte auch im Bereich RechtsRock Wirkung. Seit der Inhaftierung des Funktionärs der Neonazi-Partei DIE HEIMAT, Patrick Wieschke im Zuge des Verfahrens gegen die extrem rechte Kampfsport-Gruppe „KnockOut51“[1] fand im ersten Quartal des Jahres 2024 keine Live-Musikveranstaltung in der Landesgeschäftsstelle der Partei statt. In 2023 war das sogenannte Flieder Volkshaus mit 12 durch MOBIT gezählte Konzerte der noch am höchsten frequentierte Veranstaltungsort für RechtsRock in Thüringen mit teilweise bundesweit angereistem Publikum und folglich zahlreichen Gelegenheiten zur Pflege extrem rechter Netzwerke.

Eine Zusammenarbeit der überregionalen Neonazi-Musik-Szene zeigte sich im März in Sonneberg. Die Aufnahme eines Musikvideos der lokalen RechtsRock-Band „Unbeliebte Jungs“ um Ricky Nixdorf entstand durch Personen des extrem rechten Musiklabels „NDS-Records“ aus dem bundesländerübergreifenden Umfeld der Identitären Bewegung.

Trotz der Inhaftierung der zentralen Führungsfigur Patrick Wieschke, mobilisiert die Neonazi-Partei Die Heimat (ehemals NPD) mit dessen Konterfei zur Unterschriftensammlung für die Wahlteilnahme an der Kreistagswahl im Wartburgkreis. Wieschke war zuletzt in der Neonazi-Szene in Verruf geraten, da in der Szene die Information kursiert, er habe im Zuge des „Knockout51“-Verfahrens eine längere Aussage gemacht. Dies gilt in der Szene als Verrat.

Seit Frühjahr 2024 scheint sich außerdem eine neue Jugendgruppe zu formieren. Unter dem Namen „Aktive Jugend Thüringen“ besteht seit einigen Wochen ein Account in den sozialen Medien. Die Aktivitäten der Gruppe bewegen ich scheinbar vor allem im Umfeld der Kleinstpartei Der 3. Weg und sind bisher lokal in Gotha und vor allem Erfurt aufgefallen. Zur Selbstdarstellung der Gruppe in den sozialen Netzwerken gehören auch Kampfsporttrainings.

Insgesamt zeigt sich in den ersten drei Monaten des Jahres, dass die extrem rechte Szene ihre Aktivitäten insgesamt steigert. Die Proteste der letzten Monate und die anstehenden Wahlen fördern dieses Aktivitätsniveau offenbar weiter. Besonders in der Neonazi-Szene bleibt es abzuwarten, welchen Einfluss die laufenden Verfahren auf die Szene haben werden. So gab beispielsweise das Oberlandesgericht Jena bekannt, dass drei der vier Inhaftierten aus dem Knockout-Verfahren aus der Untersuchungshaft entlassen werden sollen (https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/jena/knockout-prozess-neonazis-eisenach-100.html). Gleichzeitig gab die Bundesanwaltschaft bekannt, dass sie Anklage gegen vier Beschuldigte wegen Rädelsführerschaft des verbotenen Netzwerks „Combat 18 Deutschland“ erheben wird, darunter auch zwei Thüringer Neonazis.

[1] https://prozessdoku-thueringen.de/category/knockout51prozess/