Rechtsextremismus Rechtspopulismus Mobile Beratung in Thüringen

Stellungnahme zur Anhörung der Enquete-Kommission

Stellungnahme zur Anhörung der Enquete-Kommission „Ursachen und Formen von Rassismus und Diskriminierungen in Thüringen sowie ihren Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben und die freiheitliche Demokratie“ am 17. Oktober 2017

 

Sehr geehrte Damen und Herren, geehrte Mitglieder der Enquete-Kommission,
seit 2001 unterstützt die Mobile Beratung in Thüringen. Für Demokratie gegen Rechtsextremismus (MOBIT) verschiedene Akteur*innen mit dem Ziel, eine demokratische, emanzipatorische Kultur zu stärken. Unser Anliegen ist es, überall dort Unterstützung anzubieten, wo Menschen sich für demokratische Grundwerte und Menschenrechte engagieren und aktiv gegen die extreme Rechte sowie gegen verschiedene Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit handeln wollen. Gemeinsam mit den Ratsuchenden vor Ort – unabhängig ob Privatpersonen, (Kommunal)Politiker*innen, Verwaltungen, Schulen, (lokale) Bündnisse, Initiativen, Vereine oder Verbände – analysieren wir die spezifische Situation, erörtern Handlungsstrategien, entwickeln Lösungsansätze und unterstützen bei der konkreten Umsetzung.
Neben der Beratung und Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen gehört auch die Aufklärung über die extreme Rechte in Thüringen zu unseren Aufgaben. Dazu bedarf es der Dokumentation und Analyse extrem rechter Aktivitäten im Freistaat.
In der vorliegenden Stellungnahme soll einerseits unsere Analyse vorgestellt werden, welche auf den Beobachtungen der extremen Rechten basiert. Andererseits lassen sich auch aus den bei uns eingehenden Beratungsanfragen Rückschlüsse auf die Entwicklung der politischen Kultur in Thüringen ziehen – diese sollen hier ebenso dargestellt werden.
Es zeigen sich einerseits gewisse Kontinuitäten in Bezug auf Demokratie- und Menschenfeindlichkeit in der Thüringer Bevölkerung und eine gefestigte extreme rechte Szene. Besonders 2015 in der Hochphase rassistischer Mobilisierung wurden zudem Anschlussmöglichkeiten extrem rechter Positionen an seit Jahren bestehende rassistische Ressentiments innerhalb der Thüringer Bevölkerung deutlich sichtbar. Andererseits kam es zu Umbrüchen und Veränderungen innerhalb der extrem rechten Organisationstrukturen, Aktionsformen und Themenfelder.

Entwicklungen der extremen Rechten in Thüringen

Über viele Jahre war die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) die zentrale extrem rechte Organisation in Thüringen. Auch in Thüringen sammelten sich zur Jahrtausend-Wende zahlreiche Mitglieder des neonazistischen Kameradschaftsspektrums in der NPD. Die Hochphase der Landes-NPD ist dann etwa in den Jahren 2005 bis 2007 zu verorten. In dieser Phase konnte die Partei nicht nur mit rund 550 Mitgliedern ihren Höchststand verzeichnen, sondern mit über 50.000 Stimmen zur Bundestagswahl 2005 auch ihr bestes Wahlergebnis. Seither ist die NPD in Thüringen auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Besonders die deutliche Wahlniederlage bei der Landtagswahl 2014, verschiedene interne Skandale und Zerwürfnisse und zuletzt das aus NPD-Sicht schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl haben der Partei nachhaltig geschadet. Die Partei ist außerhalb vereinzelter Schwerpunkt-Regionen kaum noch politisch wahrnehmbar. Lediglich in Eisenach, wo sich auch die Landesgeschäftsstelle befindet, sind nennenswerte Aktivitäten zu verzeichnen. Aufgrund der politisch geringen Bedeutung der NPD und Parteiaustritten in Folge interner Streitigkeiten, traten spätestens seit 2015 andere extrem rechte Parteien in Thüringen stärker in Erscheinung. Sowohl Der III. Weg als auch Die Rechte haben in den vergangenen Jahren ihre Präsenzen immer weiter ausgebaut und der NPD den Rang abgelaufen.

Die neonazistische Kader-Partei Der III. Weg, welche erst 2013 in Heidelberg gegründet wurde, diente in den letzten Jahren als Auffangbecken des in Bayern verbotenen „Freien Netzes Süd“, dessen Führungskader sich heute in zentralen Positionen der Partei wiederfinden. Seit 2015 expandierte die Partei auch in Thüringen und verfügt heute über mindestens zwei sogenannte Stützpunkte: „Thüringer Wald/Ost“ und „Ostthüringen“. Insgesamt gehören der Partei in Thüringen ca. 40 Mitglieder an. Diese gering erscheinende Mitgliederzahl ist aber auch am Selbstverständnis als elitäre Kaderpartei zu messen und liegt ein Vielfaches unterhalb des Mobilisierungspotentials bei Demonstrationen, die in den letzten Jahren bis zu 900 Neonazis umfassten. Zuletzt konnte die Partei am 1.Mai 2017 mehr als 700 Neonazis aus der gesamten Bundesrepublik zu einem Aufmarsch nach Gera mobilisieren.
Neben internen Veranstaltungen wie gemeinsamen Wanderungen oder Vorträgen ist Der III. Weg bisher vor allem durch Flyer-Verteilaktionen und Infostände in Erscheinung getreten. Daneben war Thüringen aber auch für die Bundespartei ein wichtiger Rückzugsort. Alle bisherigen Bundesparteitage des III. Weges fanden in Kirchheim bei Erfurt statt (zuletzt im September 2017).

Neben dem III. Weg hat sich seit Juli 2015 auch die militante Neonazi-Partei Die Rechte in Thüringen weiter ausgebreitet. Nachdem im Sommer 2015 der Landesverband gegründet wurde, hat sich die Partei durch Übertritte Anschluss an die bereits vorhandene Neonazi-Szene vor allem zwischen Erfurt und Weimar verschafft. Vom ersten Landesvorstand ist hingegen kaum noch jemand übrig geblieben. Seit Spätsommer 2016 ist der ehemalige NPD-Stadtrat Enrico Biczysko aus Erfurt Landesvorsitzender der Partei. Die Schwäche der NPD und die internen Auseinandersetzungen haben Parteineugründungen befördert und die ehemaligen NPD-Funktionäre tauchten in neuen Konstellationen wieder auf. Die Rechte verfügt in Thüringen über rund 50 Mitglieder und tritt nur vereinzelt öffentlich auf. Zentrum der Aktivitäten ist vor allem Erfurt, da die extrem rechte Szene hier Zugriff auf eine Immobilie hat. Seit Anfang 2016 nutzt die Szene einen ehemaligen Supermarkt für zahlreiche Aktivitäten. Neben Kinderfesten, Public Viewing-Veranstaltungen und Kampfsporttrainings finden auch Versammlungen und Vorträge unter der Organisation von Die Rechte statt. Mit der Immobilie und anderen Aktionen wie beispielsweise Spendensammlungen für Tierheime versuchen die Neonazis vor allem ein sozial engagiertes Image zu kreieren, um sich weiter zu verankern.

Neben den neugegründeten extrem rechten Parteistrukturen entwickelte sich mit dem Thügida-Netzwerk ein parteiübergreifender Zusammenschluss. Damit schließt sich an den Ausbau der Parteistrukturen auch der Versuch an, als unabhängige Struktur organisationsübergreifend zu agieren.
Bereits seit Anfang 2015 hatten Thüringer Neonazis versucht, sich den Erfolg der Pegida-Bewegung zu Nutze zu machen. Anfangs unter dem Label Sügida. Mit wöchentlichen Aufmärschen in Südthüringen konnte das Netzwerk bei einzelnen Veranstaltungen bis zu 600 Personen mobilisieren. Anschließend meldeten die Organisatoren unter dem neuen Namen Thügida in verschiedenen Thüringer Städten Aufmärsche und Kundgebungen an. Thügida ist ein Zusammenschluss von Personen aus der NPD, der Partei Die Rechte, dem Holocaustleugner*innen-Netzwerk Europäische Aktion, dem extrem rechten Bündnis Zukunft Hildburghausen und verschiedenen Einzelpersonen.

Vor allem im Jahr 2015 gelang es der extremen Rechten im Zuge der hitzig geführten Debatte um Flucht und Asyl mit ihrer seit Jahren geschürten „Angst vor Überfremdung“ ein deutlich größeres Mobilisierungspotential auszuschöpfen als in den Jahren zuvor. Mehr als 125 fremdenfeindliche beziehungsweise rassistische Demonstrationen und Kundgebungen fanden über das Jahr verteilt statt. In nahezu jeder größeren Thüringer Stadt gab es im Laufe des Jahres eine extrem rechte Kundgebung oder Demonstration. Im Umfeld dieser Aktionen gründeten sich in einigen Regionen lokale Ableger des Thügida-Netzwerkes (z.B. Wir lieben Ostthüringen, Wir lieben den Saale-Orla-Kreis, Bürgerinitiative Apolda). Den größten Mobilisierungserfolg erzielte Thügida im Oktober 2015, als circa 2.500 Menschen in Altenburg demonstrierten. Damit zeigte sich, dass die Debatte um das Thema Asyl auch in Thüringen vermochte, die klare Abgrenzung zur extremen Rechten aufzubrechen. Die weite Verbreitung rassistischer Einstellungen in der Thüringer Bevölkerung offenbarte sich hier deutlich.
Auch 2016 mobilisierte Thügida wiederholt zu Demonstrationen und Kundgebungen in ganz Thüringen. In den ersten Monaten konnten dabei bis zu 700 Personen mobilisiert werden. Im Laufes des Frühjahres nahmen die Teilnehmenden-Zahlen jedoch deutlich ab. Mitunter kamen weniger als 100 Personen zu den Veranstaltungen des extrem rechten Netzwerkes. Seit Frühsommer des Jahres ließ sich eine Verschiebung der Aktionsformen beobachten: Thügida rief seltener zu Demonstrationen auf. Stattdessen wurden vermehrt Info-Touren durch Thüringen und Sachsen veranstaltet und zum Teil mehrere Infostände an einem Tag in verschiedenen Orten durchgeführt. Die Reichweite war dabei eher gering, teilweise blieben die Infostände völlig unbeachtet. Wichtiger waren Videos, die im Nachgang in den sozialen Netzwerken verbreitet wurden und den angeblichen Erfolg der Aktionen dokumentieren sollten.

Parallel dazu entwickelten sich verschiedene Ansätze extrem rechter „Sozialprojekte“. Rund um den internationale Kindertag am 1. Juni 2016 fanden beispielweise thüringenweit mindestens 4 Kinderfeste statt, die unter Beteiligung extrem rechter Akteure organisiert wurden. Dabei wurden politische Inhalte bewusst vermieden. Vielmehr versuchen Akteure der Szene sich bei solchen Veranstaltungen als „Kümmerer“ darzustellen, die sich besonders für die Interessen der sozial schwachen „deutschen“ Mitbürger*innen einsetzen. Die Zuschreibung wer „deutsch“ ist, basiert dabei auf einer völkisch-nationalistischen Vorstellung. In Anlehnung an die nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie wird von einem rassisch definierten „deutschen Volk“ ausgegangen.
Unter dem Titel Ein Volk hilft sich selbst gründeten Mitglieder von Thügida im Herbst 2015 eine Initiative, die immer wieder zu Spendenaktionen aufruft. Der Name spielt dabei auf eine Kampagne des nationalsozialistischen Winterhilfswerkes aus den 1930er Jahren an. Im Duktus der nationalsozialistischen Bewegung wird dabei an die „Volksgemeinschaft“ appelliert. Bei den Aktionen wird darauf verwiesen, dass der Staat sich nicht um „das eigene Volk“ kümmere und damit gezielt Stimmung gegen Geflüchtete gemacht. Die Anzahl der Aktionen unter diesem Label ist besonders in den letzten Monaten des Jahres 2016 wahrnehmbar angestiegen. Die Thügida-nahe Bürgerinitiative Apolda organisierte in unregelmäßigen Abständen über das gesamte Jahr hinweg immer wieder Essensausgaben gegenüber der städtischen Tafel. Da die Tafel ihr Angebot explizit auch für geflüchtete Menschen öffnete, versuchte die Bürgerinitiative die Stimmung weiter anzuheizen, indem sie Lebensmittel explizit „nur an Deutsche“ verteilte. Mit derartigen Aktionen fanden extrem rechte Initiativen teils großen Zuspruch vor Ort, aber besonders in den sozialen Medien. Neben der Sammlung von Kleider- und Lebensmittelspenden wurden auch mehrere Weihnachtsfeste für „bedürftige Deutsche“ veranstaltet. Inzwischen tritt das Netzwerk unter dem Namen Volksbewegung Thügida auf und kündigte im August 2017 an, zukünftig keine Demonstrationen und Kundgebungen mehr anzumelden. Stattdessen konzentriert das Netzwerk seine Aktionen ausschließlich auf Spendensammlungen und vermeintliche Hilfsangebote.
Eine ähnliche Ausrichtung lässt sich bei dem extrem rechten Verein Volksgemeinschaft e.V. beobachten, der eine Immobilie im Erfurter Stadtteil Herrenberg betreibt und seine Angebote immer wieder explizit an (sozial schwache) „deutsche“ Familien, aber auch Kinder und Jugendliche adressiert.
Diese veränderte Strategie resultiert unter anderem aus den deutlich zurückgegangenen Mobilisierungserfolgen der extrem rechten Parteien und Netzwerke. Dauerhaft konnte die extrem rechte „Kern-Szene“ kaum von den Debatten rund um die Themen Flucht und Asyl profitieren. Vielmehr ist bundesweit und auch in Thüringen das Erstarken rechtspopulistischer und „neurechter“ Kräfte zu verzeichnen.

RechtsRock als Konstante in Thüringen

Trotz dauerhaft ausbleibender Mobilisierungserfolge und umfangreicher Veränderungen der Organisationsstrukturen, konnte sich die Szene in Thüringen weiter verfestigen und beispielsweise die Zahl der von ihr genutzten Immobilien und veranstalteten RechtsRock-Konzerte Schritt für Schritt erhöhen. MOBIT zählt derzeit mindestens 15 von der extremen Rechten regelmäßig genutzte Gebäude im Freistaat. Allein 2016 war es durch die vorhandenen Strukturen möglich, 54 Konzerte durchzuführen und damit tausende Neonazis aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland nach Thüringen zu mobilisieren.
Die Immobilien bilden unter anderem die Grundlage für die weiter zunehmende Zahl extrem rechter Musikveranstaltungen im Freistaat. Die Szene hat durch die zahlreichen Gebäude Rückzugsorte für Konzerte, Liederabende, Vorträge und interne Strategie- und Vernetzungstreffen. Zudem bieten die vorhandenen Räumlichkeiten die nötige Infrastruktur für die in Thüringen ansässigen extrem rechten Onlineversände, die neben Musik auch Bekleidung, Propagandamaterial der Szene und mitunter auch Waffen vertreiben. In den letzten Jahren konnte sich dadurch eine lebendige Neonazi-Subkultur herausbilden.
Besonders die RechtsRock-Veranstaltungen sind für Neonazis bundesweit interessant. Immer wieder ist zu beobachten, dass Bands und Besucher*innen aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen. Mitunter treten auch internationale Bands und Liedermacher in Thüringen auf. Es zeigt sich hieran, dass die extrem rechten Veranstalter gute Kontakte auch außerhalb Deutschlands pflegen. Gleichzeitig hat sich Thüringen zum Kernland des RechtsRock in Deutschland entwickelt. So werden nicht nur die meisten Konzerte im Bundesland durchgeführt, sondern Thüringer Neonazis sind auch an der Organisation von Veranstaltungen in anderen Bundesländern oder im Ausland beteiligt, wie ein großes Neonazi-Konzert im Oktober 2016 in der Schweiz zeigte.
2016 fanden 54 RechtsRock-Konzerte in Thüringen statt. Die Zahl hat sich damit in den letzten Jahren mehr als verdoppelt (2012 wurden 23 Konzerte gezählt). Im Durchschnitt fand damit 2016 an jedem Wochenende eine extrem rechte Musikveranstaltung in Thüringen statt. Das Spektrum der Veranstaltungen ist dabei weit – neben RechtsRock-Konzerten mit mehreren Bands zählen hierzu auch extrem rechte Liederabende mit Solo-Auftritten und Open-Air-Events. Die Anzahl der Besucher*innen variiert stark: Bei Liederabenden sind mitunter nur um die 50 Gäste anwesend, bei den Großevents dagegen bis zu mehreren Tausend.

Auch die Zahl rechter Großevents erreichte 2016 einen neuen Höchststand – fünf Festivals fanden in Thüringen statt. (siehe Chronik extrem rechter Aktivitäten in Thüringen) Die größte Veranstaltung war dabei ein Open Air in Hildburghausen unter dem Titel „Rock für Identität“ mit etwa 3.500 Besucher*innen.
2017 fanden im Landkreis Hildburghausen gleich zwei derartige Großevents statt. Mit etwa 6.000 Besucher*innen gehört das „Rock gegen Überfremdung“ im Juli diesen Jahres zu den größten RechtsRock-Events der letzten Jahrzehnte bundesweit.
Besonders bei diesen Großveranstaltungen offenbart sich die Bedeutung für die Szene: Neben Vernetzung und Austausch über Partei- und Organisationsgrenzen hinweg, wird hier viel Geld umgesetzt. Zum einen erzielen die Veranstalter durch die Eintrittsgelder enorme Gewinne, welche zum Teil wieder in die Szene zurückfließen, um zum Beispiel die Kosten anstehender Prozesse zu decken. Gleichzeitig werden Einnahmen durch den Verkauf von Merchandise und Musikerzeugnisse generiert. Bei Veranstaltungen wie in Hildburghausen sind Gewinne im unteren 6-stelligen Bereich wahrscheinlich.
Die gute Vernetzung der Thüringer Akteure auch über die Landesgrenzen hinweg, zeigt sich bei einem dem bereits erwähnten Großevent im Oktober 2016, welches in der Schweizer Region Toggenburg stattfand. Um die 5000 Besucher*innen nahmen an dieser Veranstaltung teil. An der Organisation waren auch Personen aus Thüringen beteiligt und auch die Gewinne aus den Ticket-Verkäufen flossen auf das Konto eines Thüringer Neonazis.
An den steigenden Teilnehmenden-Zahlen bei Konzerten und vor allem Großevents zeigt sich, dass die subkulturelle Neonazi-Szene stärker als je zuvor vertreten ist. Hinzu kommt, dass sie in den letzten Jahren an Selbstbewusstsein gewonnen hat. Während Konzerte vor einigen Jahren oft klandestin beworben wurden, finden sich inzwischen meist Flyer und Ankündigungen auf facebook zu den einzelnen Veranstaltungen und die Orte der Konzerte sind oftmals bereits vorab bekannt. Besorgnis, dass die demokratie- und menschenverachtenden Konzerte verboten werden könnten, scheint es in der extrem rechten Szene nicht zu geben.
Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei der Weiterentwicklung extrem rechter Bekleidungsmarken: Während über Jahre hinweg Botschaften auf T-Shirts und Merchandise-Artikeln „versteckt“ und codiert wurden, treten Neonazis inzwischen wieder verstärkt mit eindeutigen Botschaften in die Öffentlichkeit. Die Verherrlichung des Nationalsozialismus wird in jüngster Zeit deutlich offener nach außen getragen. Dies zeigt unter anderem auch ein Vorfall beim „Rock gegen Überfremdung“ in Themar im Juli 2017: Während des Konzertes zeigten mehrere Hundert Teilnehmer*innen den „Hitlergruß“ vor den Augen der anwesenden Polizei. Besonders die Großevents entwickeln sich zu einer Art „Machtdemonstration“ der Szene. Jüngste Gerichtsurteile, die den Neonazis weiterhin erlauben ihre Veranstaltungen unter dem Deckmantel des Versammlungsrechtes durchzuführen, sorgen für zusätzlichen Rückenwind.

Diskursverschiebung nach rechts

Zusammenfassend lässt sich aus Sicht von MOBIT in den vergangenen beiden Jahren eine deutliche Diskursverschiebung nach rechts beobachten. Seit Jahren waren die Einstellungsmuster der Thüringer Bevölkerung durch Studien wie den Thüringen-Monitor weitgehend bekannt. Konstant ließ sich seit Erhebung der Studie sagen, dass mindestens 16 Prozent der Thüringer*innen ein extrem rechtes Weltbild vertreten.
Spätestens in den Ergebnissen der diesjährigen Bundestagswahl finden die seit Jahren gemessenen hohen Einstellungswerte in Hinblick auf Menschenfeindlichkeit innerhalb der Thüringer Bevölkerung ihren Ausdruck. Den Wahlerfolg, welcher bei den extrem rechten Parteien bisher ausblieb, erzielt nun die rechtspopulistische Alternative für Deutschland.
Im Vorfeld der Bundestagswahl riefen selbst langjährige Neonazi-Kader dazu auf, statt der NPD die Alternative für Deutschland zu wählen. Begründet wurden diese Aufrufe zumeist mit der faktischen Bedeutungslosigkeit der NPD. Dass sie den Einzug in den Bundestag nicht schaffen würde, stand bereits vor der Wahl fest. Von einem Einzug der AfD in den Bundestag erhofften sich langjährige Neonazi-Akteure wie der Thüringer Tommy Frenck oder Frank Krämer – Gitarrist der extrem rechten Band Stahlgewitter – dagegen eine Politik in ihrem Sinne. Auch Akteure aus dem Umfeld von Thügida distanzierten sich schon seit geraumer Zeit von der NPD und bewarben stattdessen wiederholt Veranstaltungen der AfD. Der Grund dürften nicht nur die eigenen Streitigkeiten mit NPD-Funktionären in der Vergangenheit gewesen sein, sondern auch die Präsenz der AfD-Politikerin Uta Nürnberger im Thügida-Vorstand (bis zu ihrem Austritt im August 2017).
Besonders seit Beginn der „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 münden zudem gemessene Einstellungsmuster auch im Verhalten und werden durch öffentliche Aktionen deutlich sichtbar: Angefangen mit den enormen Mobilisierungserfolgen bei rassistischen und asylfeindlichen Demonstrationen und Kundgebungen (beispielsweise gegen Unterkünfte von Geflüchteten), über rassistische Äußerungen und Anfeindungen bei öffentlichen Bürgerdialogen bis hin zu Übergriffen am Rande von Demonstrationen und die zahlreichen Anschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten. Immer wieder ist zu beobachten, dass bei diesen Protesten keinerlei Berührungsängste mit der extremen Rechten mehr bestehen (siehe beispielsweise die Kundgebungen gegen den Moscheebau in Erfurt-Marbach).
In den Beratungskontexten der Mobilen Beratung zeigt sich zudem, dass zunehmend auch Menschen von Anfeindungen und Übergriffen betroffen sind, die sich für demokratische Werte und gegen Rassismus und Rechtsextremismus einsetzen. Insgesamt ist eine Zunahme der Beratungsfallzahlen zu verzeichnen. Auffällig ist zudem eine steigende Anzahl von Beratungen im Kontext von Regelstrukturen. Immer wieder kommt es in Schulen und Kindergärten zu Vorfällen mit rassistischem oder extrem rechtem Hintergrund. Die Beispiele sind äußerst verschieden: rassistische Äußerungen von Elternteilen, diskriminierendes Verhalten von Erzieher*innen, extrem rechte Äußerungen und Übergriffe durch Schüler*innen – um nur einige Beispiele zu nennen. Wir beobachten, dass in den vergangenen Jahren der Bedarf an Argumentationshilfen und Informationen zur extremen Rechten stark angestiegen ist, da sich Menschen in unterschiedlichsten Kontexten mit rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen konfrontiert sehen.
Die Grenze gesellschaftlich tolerierter Äußerungen verschiebt sich zunehmend nach rechts und somit gelten rassistische und asylfeindliche Aktionen oft als Ausdruck „freier Meinungsäußerung“. Dieser Eindruck wird verstärkt durch rassistische Redebeiträge, die inzwischen auch wieder in den Landesparlamenten gehalten werden. Selbst Angriffe auf vermeintlich gesellschaftliche Konsense wie die Notwendigkeit der Erinnerung an die Shoah stehen erneut zur Disposition, wenn gewählte Parlamentarier diese angreifen. Gleichzeitig fehlt es oftmals an einer zivilgesellschaftlichen Antwort vor Ort. So fällt zum Teil die Gegen-Mobilisierung bei rassistischen oder asylfeindlichen Aktionen schwerer als bei Aufmärschen bekannter Neonazi-Gruppierungen. Zudem wird zivilgesellschaftlicher Protest oft nicht gewürdigt oder gar diskreditiert und Aktive und Bündnisse, welche für eine starke demokratische Alltagskultur eintreten, müssen sich mit „Linksextremismus“-Vorwürfen auseinandersetzen.
Zu oft gelingt es mit rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen, Themen zu setzen und Debatten zu dominieren. Um dem entgegenzuwirken, muss zivilgesellschaftliches Engagement für demokratische Grundwerte und Menschenrechte gestärkt und gefördert werden.