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Gibt es einen jugendlichen Rechtsruck?

Jugendlicher Rechtsruck?

In den vergangenen Monaten fanden sich in zahlreichen Medien Schlagzeilen wie „Warum Jugendliche rechts wählen“[1]; „AfD statt Grüne und FDP: Warum mehr junge Menschen rechts gewählt haben“[2] oder gar „Rechtsextremismus: Sind die Skinheads zurück?“[3]. Die Aufmerksamkeit zahlreicher Journalist*innen verweist darauf, dass sich im Wahlverhalten und in Teilen jugendlicher Subkultur etwas verändert hat. Blickt man auf die Wahlergebnisse der vergangenen Jahre, zeigt sich ein eher unbeständiges Bild bei den Wahlentscheidungen der jüngsten Kohorte. Bei der Bundestagswahl 2013 (Gründungsjahr der AfD) entschieden sich gerade 6% der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen für die AfD. Diesen Wert konnte die Partei 2017 auf 10% erhöhen, sank aber 2021 in der Gunst der Jungwähler*innen bereits wieder auf 7% ab. Gleichzeitig zeigten die Zustimmungsraten der Grünen im selben Zeitraum einen enormen Anstieg, der bei der Bundestagswahl 2021 darin mündete, dass die Partei von 23% der Wähler*innen in der Altersgruppe 18 bis 24 Jahre gewählt wurde. Man kann also – zumindest bundesweit – keineswegs von einem kontinuierlichen Anstieg der Wahlergebnisse der AfD in jener Alterskohorte sprechen. 2024 scheint alles anders: Bei der Europawahl waren erstmals auch junge Menschen ab 16 Jahren wahlberechtigt. In der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen entschieden sich 16% für die Wahl der AfD. Dies war ein gewaltiger Zugewinn von 11 Prozentpunkten im Vergleich zur Europawahl 2019. Und auch im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 zeigte dies mehr als eine Verdopplung der Wahlergebnisse in dieser Kohorte. Bei der Bundestagswahl 2025 erreichte die AfD mit einem Stimmanteil von 21 Prozent in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen einen Zugewinn von 14 Prozentpunkten. Die meisten Stimmen konnte mit 25% allerdings Die Linke für sich gewinnen.

Blickt man nach Thüringen, zeigt sich, dass die AfD schon seit Jahren deutlich höhere Ergebnisse sowohl insgesamt als auch im Jugendbereich erzielt. Schon bei der Landtagswahl 2014 wählten 14% der 18- bis 24-Jährigen die AfD[4] und dies bei einem Gesamtergebnis von 10,6% für die extrem rechte Partei. 2019 konnte die AfD ihr Gesamtergebnis auf 23,4% erhöhen und auch der Anteil der 18- bis 24-Jährigen stieg auf 23%. Bei der Landtagswahl 2024 war dann ein erneuter erheblicher Anstieg des Wahlergebnisses der Partei insgesamt und des Anteils junger Menschen festzustellen. Mit 32,8% wurde die extrem rechte Partei stärkste Kraft im Freistaat und konnte in der jüngsten Altersgruppe 38% der Wähler*innen für sich mobilisieren. Zwei Entwicklungen stechen hier besonders heraus: Zum einen ist grundsätzlich in Thüringen[5] ein größerer Wähleranteil für die AfD insgesamt und auch bei jungen Menschen zu konstatieren und zum anderen – wie auch bundesweit – ein erheblicher Anstieg beim Stimmenanteil junger Menschen zwischen 2021 und 2024. Die Hinwendung junger Menschen zur extrem rechten AfD findet in einem gesamtgesellschaftlichen Erstarken der Partei statt. Daher sollte bei den Wahlergebnissen nicht außer Acht gelassen werden, dass politische Einstellungen auch über Generationen weitergegeben werden. Besonders in Thüringen war deutlich zu sehen, dass sich der Zuspruch junger Menschen für die AfD entlang der insgesamt steigenden Zustimmung ebenfalls vergrößert hat.  Der Ökonom und Wirtschaftshistoriker Davide Cantoni hatte im Zuge einer breit angelegten Vergleichsstudie zu den Wahlergebnissen der NSDAP und der AfD eine „eine starke Korrelation […] zwischen den Orten, in denen in den Dreißigerjahren vermehrt NSDAP gewählt wurde, und Orten, in denen heutzutage stärker die AfD gewählt wurde“[6] nachgewiesen. Die Kohorten junger Menschen, die an den vergangenen Wahlen teilgenommen haben kennen das deutsche Parteiensystem nicht mehr ohne die AfD, die ist in den letzten Jahren dauerpräsent und hat auf vielen Ebenen eine Normalisierung durchlaufen.

Insgesamt verweist die Entwicklung der Wahlergebnisse in den vergangenen Jahren auch auf eine Veränderung der Einstellungsebene junger Menschen und Veränderungen im subkulturellen Bereich.

Subkultur, soziale Netzwerke und Radikalisierung

Jenseits der Wahlentscheidungen zeigten sich in den letzten Jahren vor allem in den sozialen Netzwerken – allen voran bei TikTok und Instagram – und bei Mobilisierungen auf der Straße, dass Teile der jüngeren Generation offen für extrem rechte Ideologie eintreten. Hierbei war eine Rückkehr des Stils der Skinheadbewegung des 1990er-Jahre zu beobachten. Besonders bei den zahlreichen Protesten gegen verschiedene Christopher Street Days (CSD) war dieser Kleidungsstil öffentlich wahrzunehmen. Schaut man genauer auf die Orte der Gegenproteste und vor allem jene, an denen nennenswerte Mobilisierungserfolge der neonazistischen Jugend-Szene zu verzeichnen waren, handelt es sich hierbei vor allem um ein ostdeutsches Phänomen mit Schwerpunkt in Sachsen, teils Sachsen-Anhalt und Thüringen (Mellea/Düker 2024). Mit rund 700 Teilnehmenden war die größte Mobilisierung in Bautzen zu verzeichnen, dennoch kann man hier nicht von festen Organisationstrukturen sprechen, eher von losen, durch die sozialen Medien mobilisierten Gruppen, denen einzelne Aktivist*innen vorstehen. Die sozialen Medien bilden hierbei eine Klammer zwischen dem digitalen Auftreten bestimmter Einstellungen und Sichtweisen und der (realweltlichen) Mobilisierung zu Protesten. Im Netzwerk TikTok sind die Klickzahlen auf Videos von jungen Akteur*innen, die hier meist von RechtsRock unterlegt ihren Skinheadstyle zur Schau stellen, enorm. Die Videos erreichen zehntausende Klicks. Diese Entwicklungen in den sozialen Netzwerken sind aber kein nationales Phänomen, sondern bilden eine internationale Entwicklung ab. Vor allem russische Accounts scheinen hier einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung einer subkulturellen Symbolwelt in Deutschland zu haben. Beispielhaft lässt sich dies an einem Handzeichen erklären. Gemeint ist eine Faust mit einem oben abgeknickten Daumen. Nicht nur, dass dies auch als Symbol in TikTok -Videos deutscher Jugendlicher genutzt wird, es ist teils auch in Beratungsfällen im Kontext Schule bereits Thema der Mobilen Beratung gewesen. Hierbei handelt es sich um ein Zeichen, welches die Gruppe „Okkupay Pedofilyay“ nutzte[7], welche vom verstorbenen Neonazi Maxim Sergejewitsch Marzinkewitsch (Spitzname Tessak) gegründet wurde. Die Gruppe hatte in Russland vermeintlich Pädophile gejagt und war durch erhebliche Gewalttaten in Erscheinung getreten. Es hat also einen direkten Bezug zu einem russischen Neonazi und dessen organisierten Aktivitäten, ist aber außerhalb der digitalen Welt – zumindest in Deutschland – kaum bekannt.

Jugendliche Teilnehmer:innen bei einer Neonazi-Demo am 1. Mai 2025 in Gera

Zur Europawahl nutzten die AfD und besonders ihr Spitzenkandidat Maximilian Krah TikTok für die direkte Ansprache junger Menschen und vor allem junger Männer.[8] Dass die extrem rechte Szene hier eine Chance für sich sieht, um junge Menschen zu erreichen und eine „kulturelle Hegemonie“[9] online zu erlangen, ist nicht neu. Bereits 2023 sprach der extrem rechte Aktivist Erik Ahrens, der später Teile der Europa-Kampagne von Maximilian Krah verantwortete, beim neurechten Institut für Staatspolitik über seine Idee eines „TikTok von rechts“.[10] TikTok bietet für die Strategie der extremen Rechten Vorteile: Allen voran der spezifische Algorithmus, welcher es auch ohne einen Kanal mit zahlreichen Follower*innen erlaubt, enorme Klickzahlen auf Videos zu erreichen. So konnte man im Wahlkampf in Thüringen sehen, wie die AfD und ihr Umfeld vorgingen: Für die TikTok -Videos des Junge-Alternative-Funktionärs Eric Engelhardt aus Thüringen wurden eigene Telegram-Kanäle („TikTok Guerilla“) angelegt, in denen jede*r dessen vorproduzierte Videos runterladen konnte, um damit die Plattform über zahlreiche Kanäle zu fluten. Wie viele Menschen schlussendlich mit den Videos erreicht wurden, lässt sich somit kaum sagen. Der Algorithmus gebe ihnen „Macht und Reichweite“, betonte Ahrens schon 2023. Mit Bezug zu den TikTok-Nutzungsstatistiken resümierte der extrem rechte Aktivist 2023: „Man hat eigentlich 90 Minuten am Tag ein Fenster in deren Gehirn, wo man da reinsenden kann“. Das heißt wiederum nicht, dass Jugendliche nach dem Konsum rechter TikTok -Inhalte direkt ihre politischen Einstellungen neu ausrichten. Dieser Zusammenhang ist komplexer. Vielmehr sieht man, dass das vorhandene Potenzial extrem rechter Einstellungen von der AfD und ihrem Umfeld gezielt aufgegriffen und für die Partei mobilisiert werden soll. Die Partei hat hier allein schon durch ihre übermäßige Präsenz in den (Sozialen) Meiden einen deutlichen Vorteil: erscheint sie doch als einziger Ansprechpartner.

Insgesamt ist diese Verschiebung auf subkultureller Ebene – besonders auch durch die digitale Vernetzung – eine hochgradig gefährliche Dynamik. Sie bildet auch die Grundlage, auf der sich junge Menschen offenbar bis zu schweren Gewalttaten radikalisieren können und keineswegs beim Ausleben subkultureller Praktiken stehen bleiben. Deutlich wurde dies anhand der Razzien und Festnahmen der Bundesanwaltschaft, welche sich im Mai 2025 gegen eine Gruppe namens „Die letzte Verteidigungswelle“ (LVW) richtete. Mitglieder der Gruppe sollen auch 2024 schon für einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Schmölln verantwortlich sein.  Die Bundesanwaltschaft schreibt dazu: „Die Mitglieder dieser Vereinigung verstehen sich als letzte Instanz zur Verteidigung der „Deutschen Nation“. Ihr Ziel ist es, durch Gewalttaten vornehmlich gegen Migranten und politische Gegner einen Zusammenbruch des demokratischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Zu solchen Taten zählen insbesondere Brand- und Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberheime und Einrichtungen des politisch linken Spektrums, dies gegebenenfalls auch mit tödlichem Ausgang.“[11] Die LVW war nur eine von verschiedenen Gruppen junger extrem rechter Aktivist*innen, welche sich besonders im Zuge der Anti-CSD-Proteste 2024 gegründet hatten.

Ergebnisse jüngster Einstellungsforschungen

Die beschriebenen Wahlergebnisse, subkulturellen Erscheinungsformen und Aktivitäten in den sozialen Medien verweisen direkt auf die Einstellungsebene junger Menschen: Auf welche Art und Weise bewerten sie gegenwärtige gesellschaftspolitische Themen? Kurzum: Spiegeln sich die beschriebenen Entwicklungen auch in den erhobenen Einstellungen wider?

Einige Hinweise finden sich bereits in einer Studie von 2018. Für diese befragte der Soziologe Martin Schröder mit seinem Team fast 7.000 Schüler:innen aus insgesamt elf Bundesländern (daher gilt die Studie nicht als repräsentativ, gibt aber wichtige Hinweise), unter denen 6,4% extrem rechte Einstellungen aufwiesen (Schröder et al. 2024). Diese Zahlen erhielten 2024 durch eine Erhebung des Soziologen und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent und dessen Team eine Aktualisierung: Von den rund 2.000 befragten Jugendlichen (die Hälfte jeweils in Ost- und Westdeutschland) stimmten 17,8% allen Aussagen zu äußerst rechten Einstellungen mindestens teilweise zu. Die Autor:innen der Studie schlussfolgern, dass junge Menschen 2024 „deutlich rechter und demokratieferner orientiert [waren] als der Bevölkerungsdurchschnitt“ (Quent et al. 2024: 41). Insbesondere ist hier die hohe Zustimmung zu Dimensionen der „Neo-NS-Ideologie“[12], zu nationalchauvinistischen Einstellungen und zu autoritären Wünschen (LAS 2024: 53/54; Quent et al. 2024: 25) unter jungen Menschen hervorzuheben. Diese Entwicklungen im Einstellungsbereich bilden sich in ähnlicher Form – wie oben beschrieben – auch in den Wahlentscheidungen junger Menschen ab.

Einstellungen, Werte und (Zukunfts-)Ängste

Zusätzlich zur Erforschung extrem rechter Einstellungen gibt auch die Betrachtung von geteilten Werten, Normen und Sorgen Aufschluss über die Gründe für extrem rechte Einstellungen und Wahlentscheidungen dieser Alterskohorte. Dabei zeigt sich ein uneinheitliches Bild der Ergebnisse vorliegender Studien. Einige Forscher*innen argumentieren, dass sich das Verhältnis zur Zukunft unter jungen Menschen verändert habe und dies ausschlaggebend für eine Affinität zu extrem rechten Positionen sei. Die Sicht Heranwachsender auf die Zukunft sei früher positiv und vielversprechend gewesen und erscheine stattdessen nun prekär und nicht mehr offen (Frühauf 2024: 6; Friedrich/Schniederjann 2024). Die aktuelle Shell-Jugendstudie (2024) zeichnet ein ähnliches

Bild: Der Blick in die Zukunft der Gesellschaft sei zwar zuversichtlich, die Zuversicht in die eigene, individuelle Zukunft aber weniger positiv. Dies lässt die vorsichtige erste Interpretation zu, dass der Zulauf zur AfD unter jungen Menschen und die verstärkte Zustimmung zu extrem rechten Einstellungen u.a. auf einen protektionistischen Mittelstandschauvinismus unter jungen Menschen zurückzuführen sein könnte.

Gleichzeitig erkennt die Shell-Jugendstudie (2024) auch eine Gruppe „verdrossener Jugendlicher“, die eine niedrigere Bildung haben, häufiger aus dem Osten kommen und die eine ablehnende Haltung gegenüber staatlichem Handeln und gesellschaftlicher Liberalisierung verbindet. Dennoch möchten wir davor warnen, prekäre soziodemografische Umstände und ökonomische Deprivation als alleinigen und kausalen Faktor in der Hinwendung zu extrem rechten Einstellungen anzusehen. Dies hat bereits Forschung in der Vergangenheit ausreichend problematisiert (vgl. hierzu: Hoffmann-Lange 1996: 131).

Bei der Frage nach den größten Sorgen junger Menschen werden in den Studien vor allem Klimawandel, Diskriminierung, Krieg, die »wachsende Feindseligkeit« und »Ausländerfeindlichkeit« sowie nicht zuletzt der Aufstieg des Rechtspopulismus benannt (Shell-Jugendstudie 2024; SINUS-Jugendforschung 2024). Weniger häufig werden hingegen „Spannungen in der Gesellschaft wegen des Zuzugs von Geflüchteten, das wahrgenommene Problemlösungsdefizit der Politik und Inflation als zentrale Sorgen“ angegeben (SINUS-Jugendforschung 2024: 156).

Auch die Sorge um Inflation, die die ökonomische Deprivationsthese nahelegen würde, ist eher gering und wird, so die Sinus-Studie, „stärker durch mediale Dauerberichterstattung geprägt […] als durch direkte Betroffenheit“ (SINUS-Jugendforschung 2024: 163). Die Shell-Jugendstudie schlussfolgert – hier durchaus ambivalent – dass sich junge Menschen zwar Sorgen um die wirtschaftliche Lage und potenziell steigende Armut machen, sie aber gleichzeitig weniger Angst vor Arbeitslosigkeit haben.

Dieser differenzierte Blick auf „die Jugend“ ist wichtig. So bleibt die Farge: Kann man von einem „jungen Rechtsruck“ sprechen?

Diskussion: Junger Rechtsruck?

Auf verschiedenen Ebenen ist eine Hinwendung junger Menschen zu extrem rechten Einstellungen, Parteien und subkulturellen Praktiken zu beobachten. Voreilige Schlüsse sind dennoch zu vermeiden, da rechte Akteur*innen einen Rechtsruck unter jungen Menschen gern herbeireden und normalisieren. Hinzu kommt, dass junge Menschen mit ihren politischen Einstellungen experimentieren, „was sowohl zu der Annahme extremer politischer Positionen als auch zu kurzfristigen Änderungen ihrer Positionen führen kann“ (Schröder et al. 2024: 81). Ein Hinweis darauf können die Wahlergebnisse der Grünen bei der Bundestagswahl 2021 sein und der Verlust großer Teile dieser Alterskohorte bei den Wahlen 2024. Provokation spielt bei jungen Menschen ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Erziehungswissenschaftlerin Katharina Fahrig gibt hierzu zu bedenken, dass jugendliche „Handlungen aus Protest oder Provokation erfolgen können, ohne dass eine entsprechende Einstellung unbedingt vorgelagert sein muss, so dass rechtextremistische Verhaltensweisen ohne rechtsextremistische Einstellung denkbar sind“ (Fahrig 2020: 9).

Unabhängig davon, ob junge Menschen extrem rechte Handlungen aus Provokation oder Überzeugung (oder beidem) ausführen, ist es sinnvoll, auf Werte und Vorstellungen unter jungen Menschen hinzuweisen, die repräsentativ für deren nach wie vor starke liberale Grundeinstellung stehen. So darf die omnipräsenten Trans-, und Queerfeindlichkeit gegen CSDs im vergangenen Jahr nicht darüber hinwegtäuschen, dass soziale Gerechtigkeit und das Gleichheitsprinzip nach wie vor wichtige Werte für junge Menschen insgesamt sind (SINUS-Jugendforschung 2024). Die Befragten der Sinus-Studie nehmen eine „Ungleichbehandlung queerer Menschen als moralisch falsch wahr“ (SINUS-Jugendforschung 2024: 29). Auch die Shell-Studie hält fest, dass unter jungen Menschen „die Akzeptanz von schwulen und lesbischen Lebenswiesen weiter zu[nimmt]“ und allgemein eine grundsätzliche Toleranz unter jungen Menschen „gegenüber anderen Lebensformen oder sozialen Gruppen“ herrscht (Shell-Jugendstudie 2024: 24; 18). Dies zeigt nicht zuletzt, dass die wenigen auch medial sehr präsenten Demonstrationen gegen verschiedene CSDs kein repräsentatives Bild sind, sondern – gemessen an einer Gesamtschau – eher eine Minderheit abbilden. So erschien z.B. der extrem rechte Protest gegen den CSD in Eisenach eher kläglich angesichts einer großen Menge (junger) Menschen, die für Geschlechtergerechtigkeit eintraten. Im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Trans- und Queerfeindlichkeit ist diese Minderheit dennoch ernst zu nehmen. Die AfD und ihre Jugendorganisation haben dieses Potenzial erkannt, instrumentalisiert, mobilisiert und verfestigen es so weiter.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei der »Ausländerfeindlichkeit« unter jungen Menschen: Hier weisen junge Menschen wesentlich geringere ausländerfeindliche Einstellungen auf als ältere. Das wiederum heißt nicht, dass rassistische Einstellungen und Handlungen unter jungen Menschen kleingeredet werden sollten (LAS 2024: 54; Quent et al. 2024: 26).

Hinzu kommt, und dies deckt sich mit der Forschung zur Gesamtgesellschaft, dass bei jungen Menschen von keiner allgemeinen Politikverdrossenheit, sondern vielmehr von Parteiverdrossenheit und Demokratieunzufriedenheit gesprochen werden kann. Das Interesse an politischen und gesellschaftlichen Themen ist hoch (SINUS-Jugendforschung 2024; Quent et al. 2024; Shell-Jugendstudie 2024). Im Zuge dieser Ergebnisse stellt sich eher die Frage, inwieweit demokratische Parteien noch als Repräsentanten der Interessen junger Menschen wahrgenommen werden. Es scheint kein Zufall zu sein, dass sich diese Entwicklungen auch auf der Einstellungsebene vor allem über die Jahre der Corona-Pandemie und dem massiven Einfluss der Gegenmaßnahmen auf das Leben junger Menschen so entwickelt haben.

Angesichts der Tatsache, dass insbesondere autoritäre Einstellungen und Nationalchauvinismus bei jungen Menschen verfangen, liegt die Annahme nahe, dass es sich bei den aktuellen Entwicklungen um eine Art „Resouveränisierung“ handelt. Junge Menschen beabsichtigen, so der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, sich selbst, aber auch die eigene Nation wieder als handlungsfähiges, starkes, selbstbestimmtes und machtvolles Subjekt zu konstituieren (Pfitzner 2024). Solche autoritären Wünsche werden maßgeblich durch Krisenerfahrungen bedingt. Dies deckt sich mit unseren Beobachtungen des gegenwärtigen extrem rechten Aktivismus: Hier kommen v.a. junge Männer als Kollektiv zusammen und verfolgen ein besonders starkes und selbstbewusstes Auftreten. Insbesondere die Demonstrationen gegen die CSDs können als reaktionärer Versuch gesehen werden, die Überforderung angesichts eines Aufbrechens binärer Geschlechtlichkeit einzufangen.

Insgesamt zeigt sich ein ambivalentes Bild, das nicht zulässt, pauschal von einem jugendlichen Rechtsruck zu sprechen. Vielmehr erleben wir eine Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Entwicklungen. Einerseits sehen wir neue, durchaus besorgniserregende Entwicklungen im aktivistischen und subkulturellen Milieu sowie auf der Einstellungsebene. Hinzu kommt, dass das Stigma, sich rechts zu positionieren oder rechts zu wählen scheinbar in großen Teilen verschwunden ist und es hier ein neues jugendliches Selbstbewusstsein gibt. Andererseits vertritt ein Großteil der jungen Menschen nach wie vor liberale bis progressive Einstellungen und beteiligt sich auf der Straße an Demonstrationen gegen die extreme Rechte. Diese Entwicklungen werden gerahmt von mannigfaltigen existenziellen Krisenszenarien und einer Entfremdung junger Menschen von etablierten politischen Parteien. Genau in diesem Bereich zwischen Ängsten und Repräsentationslücke versuchen die AfD und ihre Vorfeldorganisation zu agieren. Es bedarf hier dringend einer deutlich größeren Einbindung und Repräsentation junger Menschen, um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, bevor sich die extrem rechten Einstellungen und Einbindungen in rechte Netzwerke verfestigen. Wird der AfD und ihrem Umfeld weiterhin das Feld überlassen, ist ein Anstieg rechtsextremer Einstellungswerte und AfD-Stimmenanteile bei zukünftigen Wahlen zu erwarten. Hinzu kommt, dass diese Kohorten langfristig durch ihre demokratiefeindlichen Einstellungen einen negativen Einfluss auf demokratische und zivilgesellschaftliche Prozesse ausüben könnten.

Quellen:

Abou-Chadi, Tarik (2024): »A gendered far-right wave among young voters in Western Europe?« In: European Journal of Politics and Gender, Early View.

Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Heller, Ayline/Brähler, Elmar (2024): Vereint im Ressentiment. Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen. Leipziger Autoritarismus Studie 2024. Psychosozial-Verlag: Gießen.

Fahrig, Katharina (2020): Rechte Jugendliche und ihre Familien. Eine Perspektiven triangulierende Rekonstruktion biografischer Hintergründe. Springer Fachmedien Wiesbaden: Wiesbaden.

Friedrich, Sebastian/Schniederjann, Nils (2024): Unsichere Zukunft, autoritäre Antwort. Wie die AfD bei der Jugend punktet. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9, S. 73–78.

Frühauf, Marie (2024): Adolescence in times of social-ecological crisis. Perspectives for social pedagogical analysis and research. In: Social Work & Society, 21(2), S. 1–13.

Hoffmann-Lange, Ursula 1996: Das rechte Einstellungspotential in der deutschen Jugend. In: Falter, Jürgen W. (Hg.): Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Opladen: Westdt. Verl., 121-137.

Mellea, Jessa/Düker, Joe (2024): Eine neue Generation von Neonazis: Mobilisie run gen gegen CSD-Veranstaltungen im Jahr 2024 durch rechtsextreme Jugendgruppen im Internet. Online: https://cemas.io/publikationen/neue-generation-neonazis-mobilisierung-gegen-csd-veranstaltungen/ [25.02.2025].

Pfitzner, Florian (2024): »›Wirkt auf mich irritierend‹: Warum junge Menschen der AfD zutrauen, die Probleme in Europa zu lösen«. Online: https://www.fr.de/politik/erstwaehler-europawahlafd-eu-europaeische-union-bruessel-zr-92918287.html [25.02.2025].

Quent, Matthias/Mönig, Alina/Hascher, Marleen/Kerst, Benjamin/Osterberger, Edmund (2024): Rechtsextremismus in ökologischen Transformationsräumen (RIOET). Auswertung der quantitativen Befragung. Hochschule Magdeburg-Stendal: Magdeburg.

Schröder, Carl Philipp/Goede, Laura-Romina/Lehmann, Lena (2024): Online- Aktivitäten und rechtsextreme Einstellungen im Jugendalter. In: MedienPädagogik, 59, S. 77–103.

Shell-Jugendstudie 2024 (2024): Die Shell Jugendstudie. Online: https://www.shell.de/ueberuns/initiativen/shell-jugendstudie-2024.html [25.02.2025].

SINUS-Jugendforschung (2024): Wie ticken Jugendliche? 2024 Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Eine SINUS-Studie im Auftrag von: Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, Bund der Deutschen Katholischen Jugend, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, DFL Stiftung. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn.


[1] https://www.deutschlandfunk.de/junge-waehler-rechts-afd-100.html, zuletzt abgerufen am 23.01.2025.

[2] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/afd-statt-gruene-und-fdp-warum-mehr-junge-menschen-rechts-waehlen,UFIU6BC, zuletzt abgerufen am 23.01.2025.

[3] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/rechtsextremismus-sind-die-skinheads-zurueck-19867355.html, zuletzt abgerufen am 23.01.2025.

[4] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2014-09-14-LT-DE-TH/umfrage-alter.shtml, zuletzt abgerufen am 23.01.2025.

[5] Ebenso in Sachsen, Brandenburg und anderen ostdeutschen Bundesländern.

[6] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-02/afd-waehler-rechtsextremismus-nsdap-gemeinden-milieu/komplettansicht, zuletzt abgerufen am 23.01.2025.

[7] https://www.vielfalt-mediathek.de/wp-content/uploads/2020/12/jugendschutznet_dossier_okkupay.pdf, zuletzt abgerufen am 23.01.2025.

[8] Abou-Chadi (2024) zeigt zwar, dass auch junge Frauen europaweit verstärkt rechte Parteien wählen, diese Wahlentscheidung unter jungen Männern aber dennoch deutlich wahrscheinlicher ist.

[9] „Kulturelle Hegemonie“ bezeichnet die Absicht, die Hoheit über Werte und Ideen, v.a. im kulturellen Bereich zu erhalten. Die zeitgenössische Rechte beabsichtigt liberale und progressive Einflüsse auf Kultur durch extrem rechte Werte zu ersetzen und im Anschluss einen Wandel auf politischer Ebene zu evozieren.

[10] Vgl. Ahrens gesamter Vortrag: https://www.youtube.com/watch?v=kDv5ZL_nptQ

[11] Vgl.: Pressemitteilung des Generalbundesanwalts, abzurufen unter: https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/Pressemitteilung-vom-21-05-2025.html?nn=478184, zuletzt eingesehen am, 07.07.2025.

[12] Bezüglich der Dimensionen der „Neo-NS-Ideologie“ stellt die LAS fest, dass diese bisher hauptsächlich unter Älteren aufzufinden war, sich mittlerweile aber das „Verhältnis zwischen den drei von uns gebildeten Altersgruppen […] relativ ausgeglichen“ hat (LAS 2024: 53). Interessanterweise sind unter jungen Menschen im Westen sogar die höchsten Zustimmungswerte auszumachen. Einschränkend sei an dieser Stelle aber darauf hingewiesen, dass die Interpretation dieser Zahlen vorsichtig behandelt werden sollte, da die Fallzahl eher gering ist.