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Im Blick 2/2025: Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Thüringen

Dieser Artikel ist Teil 10 von 10 der Reihe Im Blick - Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Thüringen

Abbildung: Teilnehmer*innen der 1. Mai Demo von Die Heimat – ehemals NPD – in Gera (Quelle: Mobit)

AfD: Destruktion im Landtag, Netzwerke im Vorfeld

In den zurückliegenden Monaten war die AfD und ihr Vorfeld weiter auf hohem Niveau aktiv. Dabei bilden sich vor allem zwei Aktionsebenen der AfD heraus: Zum einen versucht die Partei im Landtag durch ihre errungene Sperrminorität weiterhin ihre destruktive Macht zu nutzen, um sich selbst als politischen Gesprächspartner anzubieten und damit Rechtsextremismus zu normalisieren. Gleichzeitig beschädigt sie damit den Parlamentarismus grundsätzlich. Hier kann die AfD vor allem von der Besetzung des Richter- und Staatsanwälte Wahlausschusses profitieren, den sie im zurückliegenden Quartal quasi lahmlegen konnte. Dem kam in den letzten Wochen vor allem das BSW entgegen: im März war der stellvertretende Landtagspräsident Steffen Quasebarth zu Gast im Podcast der AfD Fraktion, Anfang Juli gab es ein Treffen mit dem extrem rechten Kopf der AfD-Thüringen, Björn Höcke. Viele Expert*innen hatten vor diesem Szenario bereits vor der Wahl gewarnt, wurden aber ignoriert. Zeit Online hatte sich die „Thüringer Situation“ genauer angeschaut. Darin heißt es: „Fragt man Jens Cotta von der AfD, ob das Ziel sei, einen Keil in die Koalition zu treiben, indem man mit dem BSW spricht, sagt er: ‚Das kommentiere ich nicht.‘ Dann grinst er, ganz breit.“

Zum anderen arbeitet die extrem rechte Partei weiterhin an der Präsenz ihres völkisch-nationalistischen Politikverständnisses in der breiten Bevölkerung. Dazu führt die AfD wie bisher hunderte Infostände, mehrere Sommerfeste sowie Jugendabende und zahlreiche „Bürgerdialoge“ in Thüringen durch, um sich dadurch als zentraler politischer Ansprechpartner für die Belange der Bürger*innen zu inszenieren. Zugute kommen der Partei dabei die geringe Verankerung und Präsenz der demokratischen Parteien vor allem in ländlichen Regionen einhergehend mit einem politischen Klima der Einschüchterung und massiv gestiegenen Bedrohungen demokratischer Kommunalpolitiker*innen.

Nach der Auflösung der Jungen Alternative (JA) fehlt es aktuell in Thüringen und bundesweit an einer Nachfolgestruktur für die Jugendorganisation der AfD. Um zumindest weiter in den sozialen Netzwerken präsent zu sein, wurden daher mindestens zwei Seiten erstellt, um junge Menschen zu erreichen. Diese selbsternannten „Puffergruppen“ sollen dabei bis zur Neugründung einer JA-Nachfolgestruktur offenbar als Zwischenlösung dienen. Daneben ist es in Thüringen vor allem die Gruppe „Kontrakultur Erfurt“ als Nachfolgeorganisation der „Identitären Bewegung“, die weiter mit Plakataktionen und dem Verbreiten von Aufklebern versucht, öffentliche Relevanz zu inszenieren. Die Gruppe besteht zu Teilen aus Personen, die zuvor im neonazistischen Milieu aktiv waren. Dass die Kontakte von AfD-Funktionären in die Neonazi-Szene keine Seltenheit sind, zeigte unlängst auch ein Bericht des MDR, der die Verbindung eines AfD-Stadtratsabgeordneten aus Erfurt zu einem aktuell inhaftierten mutmaßlichen Rädelsführer der Eisenacher Neonazi-Gruppe „Knockout 51“ offenlegte.

Neonazi-Szene in Thüringen

Die Neonazi-Szene in Thüringen hat ihre Aktivitäten in den zurückliegenden Monaten deutlich verstärkt. Im Zentrum standen dabei gleich zwei Demonstrationen am 1. Mai in Thüringen (Ausführlicher Bericht im Vorfeld von Mobit dazu). In Gera hatte die ehemalige NPD, jetzt Die Heimat, gemeinsam mit anderen Gruppen zu einer Veranstaltung mobilisiert. Dabei setzten die Organisatoren auf eine Mischung aus Demonstration und RechtsRock-Konzert und versuchten so bundesweit Klientel zu mobilisieren. Entgegen der angemeldeten 2.500 Personen erfasste die Polizei nur rund 1.000 Personen. Interessant war vor allem die Mischung der angereisten Teilnehmer*innen. In Gera gelang es den Organisatoren die verschiedenen extrem rechten Milieus vollständig zu integrieren: Neben dem Neonazi-Spektrum nahmen an der Veranstaltung auch „Reichsbürger“ und Verschwörungsideolog*innen ebenso wie mindestens ein Thüringer Landtagsabgeordneter der AfD-Thüringen teil.  Auch Personengruppen des themenbeweglichen Protestspektrums rund um die extrem rechte Initiative „Freies Thüringen“ gingen in der Neonazi-Veranstaltung in Gera auf.

Auch der 3. Weg führte am 1. Mai 2025 eine Demonstration in Thüringen durch. Die Partei hatte größtenteils intern zu einer Veranstaltung in Suhl mobilisiert. Rund 220 Neonazis folgten dem Aufruf. Besonders auffällig war das junge Alter der Teilnehmenden. Über die „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ) konnte die Neonazi-Partei in den vergangenen Monaten bundesweit vor allem junge Menschen an die Neonazi-Szene binden. Nur wenige Wochen später zeigte sich am Pfingstwochenende in Thüringen erneut, wie besonders junge Menschen in die Neonazi-Szene eingebunden werden sollen. In Berga/Elster (Landkreis Greiz) veranstaltete die NRJ ein „Jugendcamp“, zu dem bundesweit junge Menschen anreisten. Bis zu 100 Personen nahmen wohl an dem Camp teil, welches nach Informationen der Regionalzeitung OTZ auf dem Gelände eines Kaninchenzüchtervereins stattfand. Sowohl der lokale Bürgermeister als auch das Landratsamt hatten nach eigener Aussage keine Kenntnis über das neonazistische Jugendcamp.

Wie hoch der Grad der Radikalisierung bei jungen Menschen bereits ist, wurde Ende Mai mit dem Verbot der „Letzten Verteidigungswelle“ deutlich. Fünf Jugendliche zwischen 14-18 Jahren sollen sich zu einer extrem rechten Terrorzelle zusammengeschlossen und sich vor allem online radikalisiert haben. Sie sollen Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte und politische Gegner*innen geplant und auch bereits Brandanschläge verübt haben. Darunter war auch ein Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Schmölln 2024. Die Gruppe hatte sich wie viele andere Nachwuchs-Neonazi-Gruppen im Laufe des Jahres 2024 gegründet und sich dann stetig radikalisiert.

Abbildung: Junge Menschen im Block der „Jungen Nationalisten“ am 1. Mai in Gera (Quelle: Mobit)

Im April 2025 stand die Stadt Ilmenau im Fokus bundesweiter Berichterstattung. Anlass dafür war ein Angriff mit einer Schusswaffe im öffentlichen Raum auf überwiegend ausländische Studierende. Aus einem Auto, was immer wieder um den Campus patrouillierte, wurden sie von einem 21-jährigen Tatverdächtigen mit Kunststoffmunition beschossen und dabei verletzt. Wie bei radikalisierten Jugendgruppen spiegeln derartige Angriffe einmal mehr die weichende Hemmschwelle, antidemokratische und rassistische Vorstellungen nach außen zu tragen und auch in Gewalt umzusetzen.

Neben den klassischen Neonazi-Gruppen sorgte Anfang April ein Video von ehemaligen Mitgliedern der neonazistischen Hooligan-Gruppe „Jungsturm“ für Aufsehen. Zum Geburtstag einer befreundeten Neonazi-Gruppe aus Bulgarien reisten rechte Hooligans aus Erfurt nach Sofia, um hier Geschenke zu übergeben und ein Grußwort zu sprechen. Beim Verlassen der Bühne zeigten dann mehrere Personen der aus Thüringen angereisten Gruppe den Hitlergruß. Zu den Anwesenden gehörten auch Personen, die bereits beim Jungsturm-Verfahren 2021 verurteil worden waren. Die Veranstaltung zeigte nicht nur die internationale Verbindung der rechten Hooliganszene in Erfurt, sondern auch, dass trotz Verfahren und Verboten gegen extrem rechte Organisationen deren Akteure keineswegs aus der extrem rechten Szene ausscheiden.

„Reichsbürger“: Großveranstaltungen und Verbote

Schon das vorangegangene Quartal zeigte, wie präsent die verschiedenen „Reichsbürger“-Gruppen in Thüringen sind und welche Dimensionen ihr Handeln annehmen kann. Vor dem Landgericht Mühlhausen wird seit Ende März gegen zwei mutmaßliche Rädelsführer einer „Reichsbürger“-Gruppe aus Nordthüringen verhandelt, die nicht nur hunderte Schreiben an Behörden versendet haben sollen, sondern auch einen Anschlag auf einen Mitarbeiter des Finanzamtes verantworten sollen.

Am 12. April führte die Szene der „Reichsbürger“ erneut eine größere öffentliche Veranstaltung in Nordthüringen durch. In Heilbad Heiligenstadt fand das sogenannte Staatsvolktreffen mit rund 250 Teilnehmenden statt. Die gleichen Strukturen bewarben in den zurückliegenden Monaten bereits eine größere Tagungsveranstaltung. Wie schon in den Jahren zuvor soll am 12. und 13. Juli 2025 in der Nähe von Heiligenstadt erneut ein Szene-Kongress durchgeführt werden. Der „Heimath-Kongress“ soll eine zweitägige Vortragsveranstaltung sein, bei dem verschiedene Redner*innen der „Reichsbürger“-Szene auftreten sollen. Beim Kongress zeigt sich auch die Vernetzung der Szene zu anderen Gruppen, neben den einschlägig bekannten Redner*innen wird beispielsweise auch Andreas Schuster mit einem Vortrag zur „Waldbürger-Initiative“ angekündigt. Der Physiotherapeut Schuster ist in den zurückliegenden Monaten immer wieder als vermeintlicher Experte in Thüringen aufgetreten, um gegen die Errichtung von Windkraftanlagen mobil zu machen.

Neben den Aktionen der Szene selbst sorgte vor allem das Verbot des „Königreich Deutschland“ um den umtriebigen Koch Peter Fitzek für Aufsehen . Die „Reichsbürger“-Gruppe wurde am 13. Mai 2025 durch den Innenminister verboten. Das selbsternannte Königreich zählte in Deutschland zu den größten bundesweit agierenden Gruppen der Szene. Der Aktivitätsschwerpunkt der Gruppe lag zwar in Sachsen-Anhalt und Sachsen, hatte sich aber in den letzten Jahren auch auf Thüringen ausgeweitet. So veranstalteten die Strukturen nicht nur Seminare und Wanderungen im Freistaat zum gegenseitigen Kennenlernen und Vernetzen, sondern konnten in Gera auch eine eigene Immobilie erwerben. So verwunderte es im Zuge des Verbotes kaum, dass auch in Jena und Gera Durchsuchungen stattfanden.