Rechtspopulismus Zivilgesellschaftlicher Protest

Teil 5: Proteste gegen den Dammbruch: Das Bündnis Auf Die Plätze Erfurt

Dieser Artikel ist Teil 5 von 7 der Reihe Bündnisse kommen zu Wort

Am 05.02.2020 wurde Thomas Kemmerich von der FDP mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt. Dieser Dammbruch sorgte bundesweit für entsetzen und zahlreiche Proteste. Binnen weniger Stunden versammelten sich mehrere tausend Menschen thüringenweit, um gegen die Zusammenarbeit mit der AfD zu demonstrieren. Das Bündnis AufDiePlätze organisierte täglich Proteste in Erfurt, bis Thomas Kemmerich schließlich am 08. Februar seinen Rückzug ankündigte. Über 15.000 Menschen aus ganz Deutschland setzten am 15.02. 2020 bei der Großdemonstration #NichtMitUns ein deutliches Zeichen gegen die Zusammenarbeit mit der AfD. Mit der Wahl von Bodo Ramelow am 8. März endete die Amtszeit des Ministers, aber nicht die Zusammenarbeit der drei Parteien ausgelöste Regierungskrise. Mit dem Stabilitätspakt einigten sich DIE LINKE, SPD; B90/ DIE GRÜNEN auf eine Auflösung des Parlaments mit Neuwahlen. Noch ist unklar, ob das Versprechen eingehalten wird.

In welchem Kontext sind die Proteste entstanden?

Direkt nachdem Kemmerich am 05. Februar gewählt worden war, meldeten wir eine Kundgebung für 17 Uhr auf dem Anger an.

Wir waren alle aufgebracht, wütend, aber auch ängstlich. Wir wussten nicht, was kommen würde. Eine Regierung von AFD-Gnaden wäre für viele Menschen katastrophal gewesen.

Wir koordinierten uns aber schnell über Messengerdienste und in den Gruppen von Fridays for Future Erfurt und dem Auf die Plätze Bündnis. Auch die Seebrücke hatte für den Tag schon länger eine Veranstaltung in einem anderen Kontext angemeldet und nachdem diese beendet war, zogen wir gemeinsam mit dieser zu unserer Kundgebung auf dem Anger. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch eine andere Demo von den Gewerkschaften vom Landtag auf den Weg zur Staatskanzlei gemacht und wir hatten ausgemacht, die Demos dort zu verbinden, was perfekt funktionierte. Gemeinsam mit ca. 3.500 Menschen jeder Altersgruppe und aus der breiten Zivilgesellschaft, zeigten wir schließlich vor der Staatskanzlei deutlich, dass diese Wahl und diese Zusammenarbeit von FDP und CDU mit Faschist:innen nicht nur völlig inakzeptabel war und ist, sondern auch für viele Menschen gefährlich und wir diese Kooperation nicht hinnehmen würden.

Von Mittwoch (05.02.2020) bis Samstag (08.02.2020) meldeten wir daraufhin jeden Tag eine Mahnwache, Kundgebung und/oder Demonstration an, bis Kemmerich endlich wirklich zurücktrat.

Was waren die Ziele der Proteste?

Wir und eine sehr breite Masse der Erfurter:innen, Thüringer:innen, sogar deutschlandweiten Zivilgesellschaft, wollten und konnten es nicht einfach hinnehmen, dass der Sekundenkleber am Hintern eines Ministerpräsidenten von AfD-Gnaden im Büro des MP fest wird und er unwidersprochen dieses Amt übernehmen kann und Menschen durch dieses Amt und seine Abhängigkeit von der AFD womöglich sogar Schaden zufügen würde.

Zum einen wollten wir mit den Protesten allen Menschen einen Raum geben ihren Unmut, ihrer Verzweiflung und ihrer Angst Luft zu machen. Zum anderen wollten wir Kemmerich, der AfD und der CDU deutlich zeigen, dass wir mitbekommen haben was da gelaufen ist. Die Zivilgesellschaft hat verstanden, was genau da passiert ist und dass sie sich nicht mit irgendwelchen fadenscheinigen Ausreden aus der Affäre ziehen können.

Unsere konkrete Forderung, die wir immer wieder auch während der Proteste aufstellten war, dass alle die an dieser Kooperation beteiligt gewesen waren von ihren Ämtern zurücktreten müssten. Mittlerweile ist gut dokumentiert, dass die Parteispitzen der CDU und FDP sowohl auf Länder- als auch Bundesebene wussten, dass die AFD die Strategie nutzen wollte, die sie schließlich durchzog. Dass es trotzdem zu der Wahl Kemmerichs kam, ist ein Skandal, für den wir Konsequenzen sehen wollten. Der Rücktritt Kemmerichs war dabei nur unser erstes und wichtigstes Ziel.

Überall wird immer gesagt „Wehret den Anfängen!“. Wo waren denn diese Bedenken und der Skrupel aller beteiligten Abgeordneten, die bei diesem alles entscheidenden dritten Wahlgang Kemmerich gewählt haben?! Wo war denn sein Skrupel als er diese Wahl angenommen hat?

Was lief gut und welche Schwierigkeiten gab es?

In diesen vier Tagen haben wir bei der Organisation der Proteste unglaublich viel Unterstützung und Solidarität erfahren: Von Organisationen oder Bündnissen, die regelmäßig Technik stellten, die Demos bewarben, Tee und Kaffee vorbeibrachten und noch vieles mehr. Aber auch von Menschen, die oft nicht einmal an den Demos teilnahmen und uns ihre Unterstützung aussprachen. Eine ältere Dame bat uns am Rand der ersten Demo darum, immer dafür zu kämpfen, dass der Faschismus nie wieder eine Chance haben dürfe und dankte uns für unser Engagement. Solche Interaktionen gab es in diesen Tagen dutzendfach.

Auch die Koordination mit anderen Demos in Erfurt funktionierte, trotz der Spontanität dieser Tage, immer richtig gut, egal ob Gewerkschafts- oder Naturfreunde-Demo.

Dennoch, wir waren in diesen vier Tagen sehr überlastet und sehr dünn gestreckt. Viel Arbeit in diesen ersten, so wichtigen Tagen, blieb an einem Kreis von ehrenamtlich arbeitenden Menschen hängen, die nach Kemmerichs Rücktritt, nach der Großdemonstration am 15.02. und der letztlichen Wiederwahl Ramelows völlig überarbeitet waren. Umso wichtiger ist es aus unserer Sicht noch einmal Danke zu sagen an alle, die mitgemacht haben, für diese Tage, diesen Monat alles gegeben haben.

Wie bewertet ihr rückblickend die Proteste?

Gerade die Proteste vom Beginn des Amtsantritts Kemmerichs – des Dammbruchs – bis zu seinem wirklichen Rücktritt am 08.02. waren unheimlich wichtig. Hätte es diese Proteste nicht gegeben und wären sie nicht so groß gewesen oder so breitflächig gewesen (allein in Thüringen gab es am 05.02. über 60 Veranstaltungen gegen den Dammbruch!), wäre Kemmerich wahrscheinlich nicht zurückgetreten. Gerade Kemmerich, der ja behauptete die „Mitte der Gesellschaft“ zu vertreten, konnte so eindeutig nicht behaupten, den Großteil der Bevölkerung zu repräsentieren. In diesem Sinne, waren die Proteste ein riesiger Erfolg. Sie konnten den Damm zumindest ein Stück weit wiederherstellen.

Der Effekt der Proteste scheint aber nicht sonderlich langlebig zu sein. In Sachsen-Anhalt spielt die CDU schon wieder mit dem Gedanken einer Zusammenarbeit mit der AfD. Und auch hier in Thüringen, hat der Dammbruch kaum Konsequenzen für die Parteien nach sich gezogen, die so zentral an ihm beteiligt waren. Die CDU in Thüringen ist in Umfragen wieder bei ca. 22 Prozent, wo sie nach der Wahl Kemmerichs rapide auf 13 abgefallen war. Die FDP könnte es wieder in den nächsten Landtag schaffen. Noch dazu hat sich die CDU im letzten September entschieden, Christian Hirte zu ihrem Vorsitzenden zu machen. Der Mann, der aus seinem Job als Ostbeauftragter der Bundesregierung geworfen worden war, weil er explizit die Wahl Kemmerichs befürwortete und unterstützte. Ein stärkeres Signal, dass sie nicht verstanden haben, was sie falsch gemacht haben, könnte die CDU kaum senden. Und die FDP hält weiter an Kemmerich fest, der in seinen Veröffentlichungen immer wieder deutlich macht, dass er das Problem nicht verstanden hat.

Der Damm, der am 05. Februar gebrochen war, ist also nicht repariert. Er ist gerade so gekittet worden. Und die CDU und FDP scheinen weiterhin bereit, irgendwann wieder gemeinsame Sache mit Faschist:innen zu machen. Unsere Proteste dürfen also nicht aufhören. Wir müssen weiter gegen Faschismus kämpfen, wo und wie auch immer er auftaucht.